Internet Publikation für
Allgemeine und Integrative Psychotherapie
(ISSN 1430-6972)
IP-GIPT DAS=30.08.2000
Internet-Erstausgabe, letzte Änderung:
02.06.18
Impressum:
Diplom-PsychologInnen Irmgard Rathsmann-Sponsel und Dr. phil. Rudolf Sponsel
Stubenlohstr.
20 D-91052 Erlangen * Mail:_sekretariat@sgipt.org_
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Willkommen in unserer Internet Publikation für Allgemeine
und Integrative Psychotherapie, und hier speziell zum Thema:
Menschenbild, Anthropologie, Wertproblem und Metaphysik
in der Allgemeinen und Integrativen Psychologie und
Psychotherapie
nach
Sponsel, Rudolf (1995), S.108-122 Bemerkung:
Literaturverweise noch unvollständig
Fragen
und Probleme des Menschenbildes
Mit Rogers und der humanistischen Psychologie ist in der Psychotherapie
ein Wettbewerb aufgekommen nach dem Motto: Wer hat das bessere, fortschrittlichere,
humanere, positivere Menschenbild? Da jeder Mensch, ob er nun davon weiß
oder nicht, mit bestimmten Annahmen lebt und ein persönliches Weltbild
und Wertvorstellungen "besitzt", wird seine Einstellung und als PsychotherapeutIn
die Arbeit mit Menschen davon beeinflußt. Aber »wie«
und »was« und »mit welcher Bedeutung für die Psychotherapie«
müssen wir fragen? Als PsychotherapeutIn, so die Botschaft, sollte
man um diese Einflüsse wissen und sie sich bewußt machen. Das
ist der Sinn der Forderung, daß jede PsychotherapeutIn eine vertiefte
Selbstreflexion und Selbsterfahrung vorweisen sollte. Aber »wie«
und »wie weit« geht das (Fn1)? Petzold,
von Haus aus Theologe und gelernter Philosoph, versucht eine zusätzliche
verschärfte Variante einzuführen, indem er fordert, jede Psychotherapieform
müsse auch ihre philosophischen und anthropologischen Voraussetzungen
offenlegen, ja Petzold (1993) geht sogar so weit, eine Kosmologie
(!) zu thematisieren.
Was ist nun von dieser Diskussion und Entwicklung zu halten?
Ich sehe verschiedene Hintergründe, die diese Diskussion verständlich
machen und rechtfertigen, daher zunächst einige historische und psychotherapiekritische
"Hinführungen".
Das Bild vom Menschen bei Freud und in der klassischen Psychoanalyse
als einem von unbewußten Lust- und Todestrieben gebeutelten Wesen,
das fast nichts von sich weiß und mit Hilfe einer Psychoanalyse möglichst
viel ES in möglichst viel ICH umwandeln, d. h. Einsicht gewinnen soll.
Modelltheoretisch scheint hier eine Art mechanistische Triebphysik (Modell
Jahrhundertwende 1900) PatIn gestanden zu haben. Freud (1927) selbst scheint
die Analyse auch nicht als Psychotherapie mißverstanden zu haben,
wenn er etwa selber sagt: "In Wirklichkeit ist die Psychoanalyse eine Forschungsmethode,
ein parteiloses Instrument, wie etwa die Infinitesimalrechnung." (Fn2)
Liest man dann noch z. B. bei Ferenczi (Tagebucheintragung 27.7.1932):
"Man empfängt den Patienten freundlich, sucht die Übertragung
in Sicherheit zu bringen, und während der Patient sich abquält,
raucht man ruhig in seinem Fauteuil seine Zigarre, macht in gelangweiltem
Tone konventionelle und phrasenhaft wirkende Bemerkungen, gelegentlich
schläft man ein. Im besseren Fall macht man kolossale Anstrengungen,
um die gähnende Langeweile zu überwinden, ja, man strengt sich
an, freundlich und mitleidvoll zu sein."(Fn3), so
stellt sich natürlich die Frage: Kann man mit solch einer Einstellung,
mit solch einem Menschenbild anderen wirklich helfen? Was Wunder, daß
Ferenczi in einer Art Reaktionsbildung (Fn4), ins
Gegenteil umschlug und den PatientInnen sogar das direkt geben wollte in
der "Analyse", was sie in der Kindheit entbehrten (Fn5):
Zuwendung und Zärtlichkeit.
Die schon kritisierten Menschenexperimente - Aufbau
einer konditionierten Angstreaktion - an dem 11 Monate jungen kleinen Albert
durch J. B. Watson und seine spätere Frau R. Rayner (veröffentlicht
1920) sagen eigentlich alles über Mentalität und Menschenbild
dieses Rabenvaters der Verhaltenstherapie. So nimmt es denn nicht Wunder,
daß das Image skrupellosen Manipulierens und der Geruch seelenloser
technizistischer Machbarkeit immer noch am ehesten mit Verhaltenstherapie
in Verbindung gebracht wird - wir denken, seit langem zu Unrecht.
Die naturwissenschaftlich-technische Revolution hat
auch weite Teile der Medizin sehr beeinflußt. Im allgemeinen bezeichnet
man die naturwissenschaftliche Orientierung als Schul- und Apparatemedizin.
Nach dieser Auffassung wird der Mensch nur als Objekt der heilfachkundigen
Autorität gesehen und der Verlust der mitmenschlichen Dimension beklagt:
PatientInnen werden von "seelenlosen MedizinerInnen" behandelt, statt von
menschlichen ÄrztInnen, die die PatientInnen als ganze Menschen ansehen
und ihnen auch so begegnen. Dem stellt die Alternativmedizin, die Naturheilkunde,
PsychosomatikerInnen, PsychotherapeutInnen und ganz besonders die humanistische
Psychotherapiebewegung ein neues Verständnis, eine neue Begegnungsform
gegenüber: Achtung, Respekt, Einfühlung, emotionale Wärme,
Echtheit, Wertschätzung und Partnerschaftlichkeit aber auch die Forderung
nach Selbstverantwortung und aktives Engagement am Genesungsprozeß.
Dieses Spannungsfeld zwischen traditioneller Schulmedizin und humanistischer
Psychotherapiebewegung, die weit in die Ärzteschaft hineinwirkt, ist
typisch und kennzeichnend für die Menschenbilddebatte in der letzten
Zeit. Der generellen Entwertung naturwissenschaftlicher Orientierung können
wir nicht folgen. Es gibt nicht wenige Menschen, denen ausschließlich
durch die Errungenschaften der modernen - naturwissenschaftlich-orientierten
- Schulmedizin geholfen wurde und geholfen werden kann. Dies zu übersehen
hieße auch wiederum nur, das Kind mit dem Badewasser auszuschütten
- diesmal halt von der anderen Seite her.
Betrachten wir uns die Fehlleistungen der Humanistischen Psychotherapie
(Fn6), so erscheint die von ihr inszenierte Menschenbilddebatte
wenig überzeugend. Ich denke, wir haben nun genügend DogmatikerInnen,
PäpstInnen, gute und noch bessere Menschen kennengelernt. Die Zeit
ist überfällig, die Psychotherapie auf den Boden der Tatsachen
und der Wissenschaft zurückzuholen.
Erkenntnistheoretisch-Ontologische
Grundposition der GIPT: Konstruktiver Realismus
(1) Es gibt eine reale Außenwelt. (2) Diese Außenwelt
erschließt der Mensch mit Hilfe seiner Sinne, seiner mentalen Kategorien
und kognitiven Schemata. (3) Die mentalen
Kategorien werden durch die Wissenschaft, Kultur, Sitte und Brauchtum,
gesellschaftliche Organisation und Struktur, durch die Sprache und besonders
durch die Kommunikationsgebräuche
geprägt. (4) Die objektive Außenwelt ist eine Konstruktion der
Wissenschaft; sie wird erschlossen. (5) Die einzige und ewig wahre Wissenschaft
gibt es nicht (Fn7) (Bekenntnis zum erkenntnistheoretischen
Konstruktivismus, wie er für PsychologInnen und PsychotherapeutInnen
naheliegend ist). (6) Die Wissenschaft ist kulturbedingt und unterliegt
Zeitgeistströmungen, Moden und Machtkämpfen (Fn8)
und in der empirischen Sozialforschung, psychologischen Testtheorie und
Statistik gibt es zahlreiche Erscheinungen, die sich in nichts von magischen
Ritualen und zahlenmystischem Gebaren unterscheiden (Fn9).
Die Gründe sind einfach: (a) Mathematik und Statistik sind für
psychologische, psychotherapeutische und sozialwissenschaftliche Fragestellungen
nicht entwickelt worden, sondern für naturwissenschaftlich-technische
Fragestellungen (Fn10). (b) Da man mit Zahlen,
Mathematik und Statistik fälschlicherweise die Idee der Wissenschaftlichkeit
verbindet, greift man ganz pragmatisch auf das zurück, was man hat
und vorfindet. Und die moderne EDV setzt nun endgültig jede DünnbrettbohrerIn
in die Lage, etwas rechnen und eine Signifikanz - am besten mit der Option
"ALL" - ausgeben zu lassen: streng "empirisch-exakt" natürlich. (c)
Da doch einige WissenschaftlerInnen und ForscherInnen nicht eben vor Kreativität
und Mut platzen, sondern in erster Linie danach trachten, sich einen
Ruf zu erwerben, zu behalten und zu verbessern, fügen sie sich ein
in die Normen ihrer Wissenschaftsgemeinde. (d) Wenn diese Normen nun schlecht
sind, dann kann es Generationen dauern, bis eine Veränderung möglich
wird - nicht weil dann etwa Einsicht einkehrt, sondern einige mächtige
alte LehrstuhlinhaberInnen emeritieren (Fn11).
Anthropologische
Vorannahmen:
Der Mensch, sein Leben, die existenziellen und
die metaphysischen Grundthemen in der GIPT
(1) Das Menschenleben ist begrenzt durch Anfang (Zeugung, Schwangerschaft
und Geburt) und Ende (Tod). (2) Zum Wesen des menschlichen Lebens gehören
Bewegung, Fühlen, Wollen, Denken, Bewußtheit (Fn12).
(3) Die Sinngebung des Lebens ist grundsätzlich eine schöpferische
Kulturleistung, die der Mensch aber gewöhnlich in seiner Sozialisation
übernimmt, moderiert durch seine Familie und deren soziale Situation.
(4) Zum Leben gehört in der Regel auch Kontakt oder Erfahrung mit
Krisen, Krankheit, Leid, Unheil, Ungerechtigkeit, Versagen, Schuld, Niederlagen,
Angst, Trauer und Verzweiflung. (5) Und zum Leben gehört in der Regel
Kontakt und Erfahrung mit Meisterung von Herausforderungen, Genesung, Wohlbefinden,
Glück, Gerechtigkeit, Leistung, Freiheit, Sieg, Freude, Lust, Hoffnung
und Zuversicht.
Metaphysische
Bedürfnisse der Menschen
Es gibt Menschen, die intensive metaphysische Bedürfnisse
haben. Sie suchen nach Antworten, woher sie kommen, wohin sie gehen, was
das Leben für einen Sinn haben soll, wofür sich zu leben und
zu sterben lohnt, ob es einen Gott und ein Weiterleben nach dem Tod und
ein Schicksal gibt. Diese Fragen sind vollkommen legitim und berechtigt.
Daher ist es auch legitim, wenn seelisch geistige Störungen mit solchen
Sinnfragen zusammenhängen, diesen Menschen dabei zu helfen,
entsprechende Anworten zu finden. Manche wollen sich aber nicht nur dabei
helfen lassen, Antworten zu finden, sie wollen direkt eine philosophische
Orientierung haben, sie suchen einen geistigen Lehrer, einen Guru in des
Wortes ursprünglicher und positiver Bedeutung. Eine völlig falsch
verstandene wissenschaftliche Psychotherapie ziert und entzieht sich hier
- und überläßt dieses wichtige Feld damit den Sekten und
SektiererInnen, den QuacksalberInnen und ideologischen AusbeuterInnen,
den charismatischen VerführerInnen des grauen Marktes. Die großen
Kirchen erfüllen ihre gesellschaftliche Aufgabe, die metaphysischen
Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sehr schlecht. Der sog. Psychoboom
z. B. der Encounter und Bhagwanbewegung und das moderne Sektenunwesen sind
Ausdruck dieser Situation. Zwar
hat Viktor Frankl unermüdlich von der Sinnkrise des modernen Menschen
geredet in 27 Büchern, die in 20 Sprachen übersetzt wurden und
in zahllosen Vorträgen. Aber ein konkretes Therapieprogramm für
dieses Problem hat er nie auf die Beine gestellt (Fn13).
Die wissenschaftliche Psychotherapie muß sich den metaphysischen
Therapieproblemen stellen und darf sie nicht länger den SektiererInnen
und AusbeuterInnen überlassen. Astrologische Psychotherapieberatung
(Fn14), Tarot (Fn15) oder andere
metaphysische Medien erscheinen durchaus legitim, wenn sie verantwortungsbewußt
und richtig angewendet werden. (Querverweis: Kunstfehler)
Die
Regeln und Prinzipien metaphysischer Beratung in der GIPT
(1) Metaphysische Beratung soll metaphysische
Bedürfnisse befriedigen, also Lebenssinn und Lebensziele anbieten,
und nicht Angst, Unsicherheit oder gar Verzweiflung auslösen,
am Leben erhalten oder gar fördern. (2) Die metaphysische Deutung
oder Beratung soll beruhigen, (3) versöhnen mit dem Schicksal, (4)
Hoffnung vermitteln, (5) aber auch auf Handlungsspielräume und Eigenverantwortung
hinweisen. Eine besondere Verantwortung ergibt sich im Umgang
mit negativen Themen und Ereignissen: (6) Es ist unverantwortlich
und unethisch, Krankheiten, Unheil, Tod, Unglück, ganz allgemein Destruktives
und Negatives, das die Menschen beunruhigt und ihnen zu schaffen
macht, vorherzusagen oder festzulegen. (7) Auf Negatives darf nur als eine
Möglichkeit oder mögliche Gefahr, die nicht einzutreten braucht
und der man begegnen kann, hingewiesen werden. (8) Metaphysische Beratung
darf nur von solchen PsychotherapeutInnnen durchgeführt werden, die
das philosophisch und innerlich anerkennen und glaubwürdig vertreten
können.
Kindheit. Günstig für das Lebenswohl,
d. h. im Einklang mit der Realität und den grundlegenden Rechts- und
Sozialnormen für sich selbst und die Seinen verantwortlich sorgen
zu können, sind gute Bedingungen in der Kindheit (auf die wir im Kapitel
2.2.4 Entwicklungspsychologie und Lebenszyklus und 4.3 noch eingehen, Sponsel
1995).
Negative Kindheits-, Familien- und Hintergrundbedingungen
müssen aber nicht zwangsläufig zu seelischen Problemen und Störungen
im späteren Leben führen (Ablehnung eines negativen Kindheitsdeterminismus
und Labeling in der GIPT). Dogmen, z. B., daß jede Neurose in der
Kindheit wurzelt, haben in einer wissenschaftlichen Psychotherapie natürlich
nichts zu suchen. Die GIPTin und die GIPT- Forschung macht es sich schwer,
weil die Sachfragen eben ihrer Natur nach schwierig und kompliziert sind
und jede einfache Lösung wahrscheinlich falsch ist. In der GIPT
muß viel Dissonanz ertragen werden.
Wichtige mögliche
Lebenswerte
Will man wissen, was die Menschen bewegt, muß man ihre
Mythen und Dichtungen, ihre Lieder, ihre Sehnsüchte und Wünsche
betrachten. Eine einfache und gute Quelle ist die Trivialliteratur (was
wöchentlich milliardenfach nachgefragt wird, muß reale Bedeutung
haben). Hieraus können wir folgende Motive, Werte und bedeutungsvolle
Ereignisse und Erfahrungen ableiten: Abenteuer, Abstammung, Abwechslung,
Anerkennung, Besitz, Bildung, Durchsetzung, Eifersucht, Einfluß,
Erlebnishunger, Erfahrungen, Fähigkeiten, Familie, Freude, Frieden,
Geburt, Geld, Geltung, Heldentum, Herkunft, Kampf, Kompetenz, Krankheit,
Krieg, Liebe, Macht, Mißgunst, Mut, Neid, Niederlage, Rache, Sieg,
Tod, Treue, Verrat. Das sind einige wichtige Themen der Mythen, Lieder,
Dichtung und der Trivialliteratur. Und genau das sind auch die Themen des
Alltags, wenn sie auch meist nicht so erhaben klingen wie oben.
Sterben & Tod. Der Mensch hat ein
Recht auf sanftes und selbstbestimmtes Sterben und einen ebensolchen Tod.
Der Wunsch, ein nicht mehr als lebenswert empfundenes Leben zu beenden
bzw. nicht weiter künstlich zu verlängern, sofern er frei verfügt
ist, sollte respektiert werden. (Querverweis:Die
Kunst des Alterns und des Sterbens)
Selbsttötung,
Freitod (Sokratischer Tod) und Selbstmord (Impulsiver Verzweiflungs-
oder krankhafter Tod). Wir unterscheiden Freitod (Sokratischer Tod) und
Selbstmord. Mit Selbstmord bezeichnen wir die Selbsttötung als Ergebnis
einer impulsiven Verzweiflungshandlung oder aus einer Krankheit (Depression,
Neurose, Psychose) heraus. Davon grenzen wir die Selbsttötung als
philosophische Bilanzierungshandlung durch den Terminus Freitod (Sokratischer
Tod) ab. Der Freitod (Sokratische Tod) ist die bewußte und sorgfältig
entwickelte und auseinandergesetzte Entscheidung für den Tod, etwa
aus Erwägungen heraus, daß dem Leben keine angemessene Lebensqualität
mehr abgewonnen werden kann (z. B. alt, krank, gebrechlich, einsam). Die
nachvollziehbare Entscheidung eines Menschen zum Freitod (Sokratischen
Tod) ist zu respektieren. Es sind die gesellschaftlichen, politischen und
heilkundlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß ein Sokratischer
Tod in einem menschlichen Rahmen in Freiheit und Würde erfolgen kann
(z. B. im Kreise gewünschter Nächster) (Fn16).
Die Psychopathologisierung und Psychiatrisierung des Freitodes (Sokratischen
Todes) ist nach unserer Auffassung weder wissenschaftlich noch moralisch
zu rechtfertigen. Die GIPT stellt sich daher diesem Problem, verleugnet
oder mißachtet es nicht und nimmt einen klaren Standpunkt ein.
Das Wertproblem
in der Wissenschaft
Querverweis: Psychologie
der Werte in: Das Heilmittel J Werten
und J Werten_primär
In Wissenschaft und Forschung spielt das Wertproblem insofern
hinein, als (1) die Auswahl des Forschungsgegenstandes eine Wertentscheidung
bedeutet und (2) die Grundmodelle, Definitionen und Kennzeichnungen von
den Zielen und Zwecken, die ForscherInnen und WissenschaftlerInnen verfolgen
- und damit von Werten - , beeinflußt werden. (3) Der "autistisch-undisziplinierte"
(Bleuler 1919) Zustand der Heilkunde, der Psychologie, Psychotherapie und
Sozialwissenschaft hat auch etwas damit zu tun, daß die Relevanz
für eine Sprach- und Methodennormierung nicht gesehen wird (Ausnahme:
Konstruktive
Wissenschaftstheorie Bewegung Lorenzens, sog. "Erlanger Schule"). So
herrscht eine heillose, babylonische Sprachverwirrung und ein großer
Teil der Forschungsenergie geht durch immerwährende prägalileisch-scholastische
Kommunikationsbewältigungen verloren. So gesehen ist die Wissenschaft
nicht eben effektiv organisiert und man fragt sich, wie lange sich SteuerzahlerInnen
das noch gefallen lassen. (4) Die grundlegenden Wahrheitswerte empirischer
Erkenntnis heißen wie in der Logik "wahr" und "falsch" (Fn17).
Zentral ist das Wertproblem daher bei der Bewertung (Evaluation) wissenschaftlicher
Ergebnisse. Wie schwierig und aufregend das sein kann, zeigt die Diskussion
um die Ergebnisse der Meta-Analyse von Grawe et al. (1994) (Fn18).
Aufgrund der chaotischen Verhältnisse in den Sozialwissenschaften
und in der Medizin gibt es eine unübersehbare Flut (Fn19)
widersprüchlicher wissenschaftlicher Ergebnisse, die sich in nicht
mehr übersehbaren Veröffentlichungen alljährlich niederschlagen.
In der Psychologie wird derzeit eine Enzyklopädie herausgegeben, die
mindestens 88 Bände haben wird, aber es ist konzeptionell weder ein
Band dabei, der die Basisterminologie intersubjektiv operational normiert
noch einer, der die Gesetze und gesetzesartigen Aussagen, die bislang gefunden
wurden knapp und präzise übersichtlich darstellt.
Das Menschenbild in der
GIPT
Moralisches Basispostulat Menschenbild: Alle Menschen sind gut
und schlecht, und das sehr differenziert, die einen ein bißchen mehr,
die anderen ein bißchen weniger, was auch eine Frage der Perspektive
und der Maßstäbe ist. Jeder ist im Grundsatz zum Guten wie zum
Schlechten befähigt und das ist oft kein konstantes Charaktermerkmal,
sondern abhängig von der jeweiligen Situation und wie wir sie einschätzen,
von unseren jeweiligen Zielen und Zwecken, unseren Fähigkeiten und
Möglichkeiten (Fn20).
Der Anspruch der GIPT als einer offenen, freien, pluralistischen
und der Gesamtgesellschaft verpflichteten wissenschaftlichen psychologischen
Psychotherapie verlangt Zurückhaltung im Menschenbild. Hier ist kein
Platz für allzu persönliche Ideologien und Philosophien. Die
durchschnittliche GIPTin begegnet PatientInnen ideologisch und weltanschaulich
neutral. Generell halten wir persönlich die von der Psychodynamischen
Psychotherapie entwickelte Abstinenzregel auf der Basis wohlwollender Neutralität
für etwas zu wenig, und die warmherzige, bedingungslose Wertschätzung
- noch dazu als menschliche Grundhaltung - von Rogers für etwas
zu viel. Da in der IAEP und SEPI (Fn21) die verschiedensten
PsychotherapeutInnen, auch mit den unterschiedlichsten schulischen Hintergründen
(Fn22) oder Schwerpunkten willkommen und aktiv sind,
wenn sie nur mehr als eine schulische Orientierung haben, kann es in der
GIPT k e i n differenziert verbindliches Menschenbild geben,
sondern es gilt das Toleranzprinzip.
Grundsätzlich gelten (1) die am 10.12.1948 verabschiedeten
30
Artikel der Allgemeinen Menschenrechte, (2) die menschenbildrelevanten
Artikel der jeweiligen Landesverfassung und (3) die berufsethischen Grundsätze
der psychologisch-psychotherapeutischen Berufs- und Fachverbände als
Rahmen und Grundlage für die tolerierbaren Menschenbilder.
Damit ist klar, daß in der GIPT das Toleranzprinzip
für unterschiedlich differenzierte Menschenbilder gelten muß.
Es ist Platz für Rogers-GesprächspsychotherapeutInnen und es
ist Platz für PsychoanalytikerInnen. Es ist Platz für TheistInnen
und AtheistInnen wie auch für Konservative oder SozialistInnen. Nachdem
jede PsychotherapeutIn ihre eigene Persönlichkeit und Geschichte hat,
muß auch jede ihre Praxis im Einklang mit ihrer Persönlichkeit
gestalten und ausfüllen. Die GIPTin ist frei.
PsychotherapeutInnen haben nicht das Recht, PatientInnen
für die eigene Ideologie und Philosophie zu indoktrinieren und zu
mißbrauchen, und hören sie sich auch noch so wunderbar an. Möglicherweise
kommen die PatientInnen nicht, um sich zu entwickeln, zu wachsen und ihre
kreativen Fähigkeiten zu entdecken, möglicherweise kommen sie
"nur", weil sie ihre quälenden und lästigen Symptome verlieren
wollen, was unbedingt zu respektieren ist. PsychotherapeutInnen mit sehr
differenzierten und ausgestalteten Menschenbildern in der Berufspraxis
halten wir im allgemeinen heilkundlich für problematisch und manche
sogar für ideologisch gefährlich (Ausnahme (Fn23)).
(Querverweis:
Kunstfehler)
Schwierige Probleme ergeben sich im Um- und Arbeitsfeld
der Psychiatrie, wenn es um die Frage der Einweisung in eine geschlossene
Abteilung geht. Ganz allgemein ist hier die Frage nach der Legitimität
der Gewalt berührt. Wir denken und haben hier reale Erfahrung, daß
es leider Situationen gibt, wo Menschen (meist vorübergehend) zwangseingewiesen
werden müssen. Und die es real tun und bewältigen müssen,
die Tätigen in der Psychiatrie, dürfen deshalb nicht ins humanistische
Abseits gestellt werden. Ebenso richtig ist aber auch, daß dort,
wo Menschen über Menschen viel Macht haben, eine besondere Supervision,
ein besonderer Schutz vonnöten ist.
Querverweise:
Glossar, Anmerkungen
und Endnoten
GIPT= General and
Integrative
Psychotherapy,
internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
___
(Fn1) Nicht alle PsychotherapeutInnen
sind philosophisch so sehr gebildet und die große Tradition, die
die Philosophie in der klassischen deutschen Psychologie bis etwa 1930
hatte, ist mit dem relativ oberflächlichen Nachkriegs-Operationismus,
dem sogar die klassische psychologische Kategorie des WILLENs zum Opfer
fiel, weitgehend verloren gegangen [Ausnahmen z. B. Wellek, Pongratz]
_______________
(Fn2) Aus: "Die Zukunft einer Illusion",
Frankfurt: Fischer, Bd. IX, S. 170 f. Diese Haltung wurde von Habermas
als "szientistisches Selbstmißverständnis" bezeichnet. Eine
gründliche Untersuchung und Diskussion findet man bei Grünbaum
(1981, 1991). Stimmte diese These wirklich, müßte
man fordern, daß die LangzeitanalytikerInnen - Langzeitanalyse machen
nur noch 7 % der Behandlungen aus - ein Forschungs-Honorar
an ihre ProbandInnen bezahlen und nicht die Krankenkasse oder die ProbandInnen
an die LangzeitanalytikerInnen.
______________
(Fn3) Zitat und Belege bei Masson,
J. M. (dt. 1991, orig. 1988), S. 104 f. Das Tagebuch ist erstmals 1985
ins Französische übersetzt worden - 53 Jahre nach der Niederschrift.
Nachtrag: Eine deutsche Übersetzung erschien 1999 im Fischer
TB-Verlag unter dem Titel "Keine Heilung ohne Sympathie"; das Zitat findet
man dort auf Seite 239 unter "Grausames Spiel mit den Patienten".
_______________
(Fn4) Abwehrmechanismus in der Psychoanalyse:
man versucht sich gegen den Durchbruch eines verbotenen Motivs zu schützen,
indem man das gegensätzliche Motiv an den Tag legt, z. B. ist x zu
y ganz besonders freundlich und zuvorkommend, obwohl x y am liebsten die
Augen auskratzen würde. Diese Freundlichkeit dient quasi als
Schutz vor dem Durchbruch der Aggression.
_______________
(Fn5) Daß es allen PatientInnen in
der Kindheit an Liebe gemangelt haben soll, ist ein typischer Mythos der
Psychoanalyse. Entbehrung von Liebe ist eine ungünstige Bedingung.
Verwöhnung mag eine andere sein. Alternation von Verwöhnung und
Entbehrung eine dritte. Und eine vierte, die Erfahrung widerspruchsvoller
Botschaften. Überforderung eine fünfte, Ausbeutung zu narzißtischen
Zwecken eine sechste usw. usf.
_______________
(Fn6) (a) So verkündete Rogers (1957)
(> Nickel 1979, S. 124), daß die simultane Anwendung von Einfühlung,
Echtheit und Wertschätzung eine notwendige und hinreichende Bedingung
für die Genesung oder Heilung aller Störungen ist. Eine solche
These kann in der Psychotherapie bestenfalls eine Arbeitshypothese und
darf niemals ein Axiom sein. Glücklicherweise ist die deutsche GT
spätestens seit 1989 (Tausch 1989) von dieser Irrlehre abgerückt
und hat sich integrativ geöffnet, was wir sehr begrüßen:
schließlich ist die GT eine genuin psychologische Psychotherapie
und hat für die Beziehungs- und Prozeßforschung einiges geleistet.
(b) Gendlin (> Reader, Sponsel 1995), ein Nachfolger von Rogers
meint nun seinerseits, eine Entdeckung derart gemacht zu haben, daß
es eine notwendige Bedingung für erfolgreiche Psychotherapien gibt:
die faktische Verfügbarkeit dessen, was FOCUSING inhaltlich bedeutet.
Das ist ein direkter und klarer Widerspruch zu seinem Vorgänger Rogers.
Demnach wäre streng logisch gefolgert auch die GT überhaupt nichts
wert, wenn PatientInnen nicht beherrschen, was FOCUSING inhaltlich beschreibt.
Wir halten die entmystifizierte (> 6.6.1) Kernerkenntnis Gendlins
für sehr wichtig. Ohne Zweifel hat er eine sehr bedeutsame Entdeckung
gemacht: Aber muß es denn wieder gleich eine notwendige Bedingung
für a l l e Menschen und a l l e Störungen
in a l l e n Lebenssituationen für a l l e
Zeiten sein? Querverweis:
Die Bedeutung der Humanistischen Therapie für die Integrative
Therapie
(c) Fritz Perls (1893 - 1970) war in seinem persönlichen
Leben impulsiv, aggressiv, autoritär und hatte massive Konflikte mit
seiner Familie, in der Hauptsache mit seinem Vater ("ein Stück Scheiße"),
seiner Frau und seiner Tochter (»In seinen letzten sechs Lebensjahren
hat Fritz nicht ein einziges Wort mit mir gesprochen. Ich hatte In and
Out of the Garbage Pail vor seinem Tode nicht gelesen. Und nachdem ich
es gelesen hatte, dachte ich, wenn er nicht schon tot wäre, würde
ich ihn umbringen.«). Sein Frauenbild war klassisch-chauvinistisch;
in seiner Autobiographie beschreibt er, wie er eine Frau in einer seiner
Gruppentherapien "gebändigt" hat: "Nun lag sie wieder da, und ich
sagte, nach Atem ringend: »Ich habe in meinem Leben mehr als eine
Hündin verprügelt.« Dann stand sie auf, umarmte mich und
sagte: »Fritz, ich liebe dich.« Offensichtlich hatte sie endlich
das bekommen, wonach sie sich schon ihr ganzes Leben sehnte, und in den
Vereinigten Staaten gibt es Tausende solcher Frauen. Sie provozieren und
quälen ihre Männer, nörgeln an ihnen herum und verunsichern
sie, bekommen aber nie die Prügel, die sie verdient haben." (Zitate
und Belege bei Masson, J. M. (1988), S. 258 f) Nun, ändern diese Informationen
etwas am Wert der Gestalttherapie? Für mich grundsätzlich nicht.
Aber wir fragen uns, ob der Diskussion um Menschenbild und Ideologie wirklich
die praktische Bedeutung zukommen kann, wie manche aus der humanistischen
Bewegung nicht müde werden, immerwährend zu betonen. Stimmen
diese Informationen, war Fritz Perls offenbar stellenweise unmöglich,
ein regelrechter Antitherapeut, aber er hat eine Therapieform geschaffen,
die unserer Meinung nach vielen Menschen auf der Welt etwas Positives gegeben
hat und geben kann. Fazit: Das ist die Realität, wie wir sie wahrnehmen.
Und das gehört u. E. zum Welt- und Menschenbild einer wissenschaftlichen
Psychotherapie: der Mut zur Realität und Wahrheit, leben lernen ohne
Legendenbildung und Mythen, mögen sie im Einzelfall gelegentlich noch
so wertvoll sein.
_______________
(Fn7) Unser wissenschaftstheoretischer
Grundlagenstandpunkt kann zwischen dem Relativismus Feyerabend (dt.
1979, 1975 orig.) und objektivistischen Lehren eingeordnet werden. Wir
sind "objektivistischer" als Feyerabend und "relativistischer" als die
ObjektivistInnen, die glauben, die Welt "an sich" erkennen
zu können. Erkenntnis gibt es immer nur relativ zu einem erkennenden
System, aber deshalb ist sie noch nicht letztlich beliebig im Sinne Feyerabends.
Wissenschaft zu betreiben bedeutet, weitgehend beobachterinvariante Aussagen
über die Welt und wie sie funktioniert machen zu wollen und zu können.
Die völlige Beliebigkeit konstruktiver Entwicklungen, wie sie von
manchen SystemikerInnen oder von den NLP-Begründern und ihren JüngerInnen
vertreten wird, halten wir für grundfalsch. Kontruktivismus heißt
für uns in letzter Instanz, daß man sich der "Wahrheit", an
die wir glauben, auf verschiedene Weisen nähern kann; es heißt
natürlich nicht, daß es beliebige Wahrheiten und Wirklichkeiten
gibt. Wohl aber, das zeigt ja unser Alltag als PsychologInnen, verschiedene
Welten und Konstruktionen in den Köpfen der Menschen.
_______________
(Fn8) In unserem Verständnis ist die
Wissenschaft längst nicht so wissenschaftlich, wie sie sich gebärdet.
Es gibt üble Machtkämpfe, Demütigungen, Denunziationen,
Intrigen, geistigen Diebstahl, Betrug und Hochstapelei und alles Üble,
das es sonst auch im Leben gibt (Bässler (1991); Broad, W., Wade,
N. (dt. 1984, orig. 1982); Czeschlik, D. (1987, Ed.); Grafton, A. (dt.
1991, orig. 1990); Johnson, R.B. (1989; "Burt Affair"); Prause, G., Randow,
Th. v. (1985); Skrabanek, P., McCormick, J. (dt. 1991, orig. 1989); Stegemann-Boehl,
S. (1994)). Fairerweise fügen wir hinzu: leider auch in der Heilkunde.
_______________
(Fn9) In der Hauptsache die völlig
inhaltslose Signifikanzmagie (kritisch und problematisierend: Bakan, D.
1966; Brandt, L.W. 1976; Carver, R.P. 1978; Cohen, J. 1990;
Falk, R. 1986; Falk, R., Greenbaum, C. W. 1995; Gigerenzer,
G. 1981; Gigerenzer, G. 1993; Guttman, L. 1977; Harnatt, J.
1973, 1975; Kriz, J. 1978; Lykken, D. T. 1968; Rozeboom, W. W. 1960;
Rüppel, H. 1977; Sponsel
1994; Wendt, D. 1983; Witte, E. H. 1980). Denn: (1) ist die Voraussetzung
einer echten Zufallsauswahl in aller Regel nicht erfüllt, im Falle
von den meist unendlichen Grundgesamtheiten auch gar nicht erfüllbar;
(2) sind bei den parametrischen Tests wichtige Annahmen wie z. B. Normalverteilung,
Mittelwert oder Varianzgleichheit nicht erfüllt oder prüfbar;
(3) sind in aller Regel die Skalenniveauvoraussetzungen nicht erfüllt
und (4) der mögliche Aussageinhalt ist extrem inhaltsleer und trivial.
(5) Durch hinreichend großes N sind "Immer-Signifikanzen" erzielbar.
(6) Die Ergodizitätsvoraussetzung (Parameterkonstanz) wird so gut
wie nie diskutiert oder problematisiert. Dieser Weg ist ein völliger
Irrweg. In meinem Buch "Numerisch
instabile Matrizen und Kollinearität in der Psychologie - Ill-Conditioned
Matrices and Collinearity in Psychology" (1994) habe ich den selbsternannten
"exakten" SozialwissenschaftlerInnen, insbesondere den Korrelationsmatrizen-
und Faktorenanalyse-SzientistInnen zwischen 1910 und 1993 zahlreiche
Kompetenzmängel und gravierende Fehler nachgewiesen. Wieder eine seltsame
Paradoxie. Die wichtige Erkenntnis, daß Kollinearität, wenn
sie echt ist, der Entdeckung eines Gesetzes gleichkommt, scheint sie wenig
zu interessieren. Und das wundert auch nicht: stellen sie doch durch Setzung
von Eigenwerten = 0 in der Faktorenanalyse die Gesetze durch Selbstbeschluß
(!) zu Abertausenden ja einfach her: Wissenschaft? Oder Szientismus?
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(Fn10) Wir brauchen in der Psychologie,
wenn wir auf die Arbeit mit Quantitäten nicht verzichten wollen, einen
neuen Zahlentyp, der dem Unklaren, Unscharfen und Flüchtigen unseres
Gegenstandsgebietes Rechnung trägt. Im Grunde verlangt man von der
Mathematik einen paradoxen Quantensprung: Sie, die Königin der Klarheit
und Exaktheit, soll sich mit Unscharfem, Unklarem, Unexaktem beschäftigen
und hierfür eine Axiomatik und Logik entwickeln! Nun, wer immer richtige
wissenschaftliche Psychologie betreiben und auf Quanttäten nicht verzichten
will, der kommt hieran nicht mehr vorbei. Erste Ansätze sind auch
in der Entwicklung von Fuzzy-Konzepten, nichtlinearen Systemen, neuronalen
Netzwerken, der Chaos- und Komplexitätsforschung (> Reader Dörner
in Sponsel 1995) zu erkennen.
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(Fn11) Max Planck (1948, S. 5) drückte
es so aus: "Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der
Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich
als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, daß ihre Gegner
allmählich aussterben und daß die heranwachsende Generation
von vorneherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist." Zitiert nach Kannengießer,
L. & Kröber, G. (1974, S. 122).
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(Fn12) Es ist klar, daß sich aus diesen
Bestimmungen schwierige Grenzfälle ergeben können: leben total
Gelähmte demnach nicht mehr? Was ist mit Hirnverletzten, die nicht
mehr wollen oder fühlen können? Was ist mit jemandem, der auf
unbestimmte Zeit in Bewußtlosigkeit versunken ist? Ab wann kann man
nicht mehr von Denken sprechen? Nun, für diese zahlreichen Grenzfälle
gibt es keine klare und schon gar keine einfache Darstellung und Entscheidung.
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(Fn13) Wieder eine der merkwürdigen
Paradoxien, die uns im Leben, der Wissenschaft und auch in der Psychotherapie
ständig begegnen: der Altmeister des Paradoxen liefert selbst eine
Paradoxie.
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(Fn14) Astrologie - das närrische
Töchterlein der Astronomie nach Kepler - heißt die Lehre vom
Einfluß der Stellung der Planeten und Sterne für das menschliche
Leben und seinen Lauf, das Schicksal. Sie wird zurecht als unwissenschaftlich
abgelehnt, und zwar vor allem wegen: (1) der Präzession (Vorrücken
des Frühlingspunktes um 50 Sekunden pro Jahr durch die Neigung der
Ekliptik, daher sind die ursprünglichen Sternzeichen derzeit um ca.
30 Grad, also um rund ein Sternzeichen vorgewandert, d. h. z. B. Schütze
"steht auf" Skorpion); (2) der Ungereimtheit Zeugungszeitpunkt versus Geburtszeitpunkt;
(3) der Ungereimtheit bei ortsgleichzeitig Geborenen; (4) fehlender
wissenschaftlicher Methodik - zu der die meisten AstrologInnen gar nicht
fähig oder bereit sind. Aber man muß die Astrologie ja nicht
im Wettstreit mit der Wissenschaft sehen und interpretieren, sondern sollte
sie als eine Art Naturreligion oder Metaphysik begreifen. Die richtige
Prüffrage an die Astrologie kann nur lauten: macht sie ihren metaphysischen
Job richtig: beruhigt und tröstet sie die Menschen, gibt sie ihnen
Hoffnung und läßt sie Spielraum für Selbstverantwortung?
Unter den VertreterInnen der Astrologie finden sich auch nur wenige, die
willens und fähig wären bzw. sind, Astrologie wissenschaftlich
zu betreiben, sei es in der Erforschung und Überprüfung ihrer
Gesetze oder in der Anwendung. Es ist aber auch gar nicht der Sinn oder
die Aufgabe einer Astrologie, mit der Wissenschaft zu konkurrieren
oder sich ihren Kriterien unterzuordnen, weil die Astrologie eben keine
Wissenschaft ist, sondern eine Art Naturreligion und Lebenshilfe, manchmal
aber auch nur ein Gesellschaftsspiel. Die Bedeutung der Sterne für
das eigene Leben zu erfahren, bedeutet zunächst einmal nichts
anderes, als den Wunsch nach Orientierung, Sinn und Sicherheit. Astrologie
stillt metaphysische Bedürfnisse des Menschen. Der Mensch ist wesentlich
nicht nur Kopf, Rationalität, Verstand, Logik und Beweis, sondern
er ist in seinem Fundament voller archaischer Gefühle und Bedürfnisse,
die ihm die Wissenschaft nicht befriedigen kann. Dafür gibt
es u. a. die Religionen, die Metaphysiken, Lebensphilosophien und die Weltanschauungen.
In diesem Sinne ist die Astrologie nichts anderes als eine Art Naturphilosophie
oder -religion und nicht weniger legitim als ihre Schwestern Religion und
(Lebens-) Philosophie. Es ist ein fundamentaler Fehler naturwissenschaftlicher
und technischer Orientierung, die metaphysischen Bedürfnisse des Menschen
aufheben und zum Verschwinden bringen zu wollen. Viel weiser wäre
es, sie anzuerkennen und angemessen zu kanalisieren, ihnen einen
legitimen Existenzort zuzuweisen.
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(Fn15) Etwa Wang, R. (1989). Tarot
Psychologie. Handbuch für das Jungianische Tarot. Neuhausen: Urania.
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(Fn16) Eine wirklich humane Gesellschaft
braucht z. B. nicht nur die Feste und Feiern der Geburt, der Heirat und
des Todes, sondern wir brauchen auch ein Fest des Sterbens: damit das Leben
in Würde zu Ende gehen kann.
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(Fn17) Man muß daher streng trennen
zwischen "empirisch wahr" bzw. "empirisch falsch" und "logisch wahr" bzw.
"logisch falsch". Das sind zwei Paar "Wahrheitsstiefel".
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(Fn18) Auf die Probleme der Effektivitätsforschung
in der Psychotherapie gehen wir ausführlich in Kapitel 6 (Sponsel
1995) ein.
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(Fn19) Im empirisch-szientistischen Teil
dominieren sog. "Signifikanz"-Prüfungen, die, für sich genommen
und richtig betrachtet, relativ nichtssagende Aussagen liefern vom Typ
<x beeinflußt y "signifikant">. Bei vielen solcher unspezifischen
und insgesamt auch noch widerspruchsvollen Aussagen entsteht dann ein ziemlich
verwirrender und undurchsichtiger Nebel, der vom eigentlichen Ziel wissenschaftlicher
Erkenntnis, Gesetzes- oder Regelhaftigkeiten zu finden, ziemlich entfernt
ist.
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(Fn20) Zum Problem der Normen und Moral
habe ich seit meiner Diplom-Arbeit über Abwehrmechanismen in der Kriminalität,
meinem Praktikum in der Sozialtherapeutischen Versuchs- und Erprobungsanstalt
- eine fürchterliche Formulierung - und danach eine Zeitlang
Mitarbeit im Arbeitskreis Resozialisierung, sowie durch meine Tätigkeit
als forensischer Sachverständiger eine enge Beziehung. Siehe auch
Quensel (1964, S. 170 ff) insbesondere Thesen 17 und 18: "17.
Der Ausgangspunkt der kriminologischen Forschung ist ein Verhalten. Dieses
Verhalten wird als abweichendes Verhalten gefaßt. Dessen Struktur
als >abnormales< Verhalten sowie dessen Verhältnis zur >Norm<
bedarf weiterer Klärung. 18. Das abweichende Verhalten kann nur in
Ausnahmefällen als pathologisches Verhalten gedeutet werden. Es gehorcht
grundsätzlich denselben Prinzipien wie das normale Verhalten." (a.
a. O., S. 172).
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(Fn21) IAEP
= International Academy of Eclectic Psychotherapists; 1982 gegründet;
gibt das "Journal of Integrative and Eclectic Psychotherapy" heraus. SEPI
= Society for the Exploration of Psychotherapy Integration, eine internationale
Gesellschaft zur Erforschung der Psychotherapie Integration; 1983 gegründet;
gibt seit 1991 viermal im Jahr die Zeitschrift "Journal of Psychotherapy
Integration" heraus, die auch eine "newsletter" enthält und über
das Geschehen der Integrativbewegung berichtet. Einmal im Jahr wird ein
meeting veranstaltet. Den Gesellschaften gehören verschiedene SchulenvertreterInnen
mit integrativer Ausrichtung und "reine" EklektikerInnen und IntegrationistInnen
an.
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(Fn22) Goldfried kommt z. B. von der Verhaltenstherapie,
Paul Wachtel von der Psychoanalyse.
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(Fn23) Wenn eine PatientIn mit extremer
oder außergewöhnlicher Ideologie oder Metaphysik behandelt werden
soll, kann eine PsychotherapeutIn mit analoger Grundhaltung möglicherweise
hilfreicher sein als eine PsychotherapeutIn ohne eine solche. Sonst können
eine Reihe besonderer Probleme auftreten: (1) Verständnislosigkeit
bei PsychotherapeutIn; (2) massive Gegenübertragung (Abneigung, Ablehnung,
Vorbehalte, Vorurteile); (3) fehlende Empathie. (1), (2) und (3)
können sehr schnell zu einer schweren Beziehungs- und Kommunikationsstörung
führen, die einen Therapieerfolg unwahrscheinlich werden lassen. Möglicherweise
hilft hier nur eine PsychotherapeutIn, die der philosophisch-ideologischen
Einstellung und Haltung der PatientIn nahesteht. Möglicherweise hilft
auch ein interdisziplinäres Konsil oder Ko-Therapie, etwa die Hinzuziehung
einer philosophisch-ideologischen Autoritätsperson. Steht so jemand
nicht zur Verfügung, muß sich die PsychotherapeutIn möglicherweise
erst intensiv mit dieser philosophisch-ideologischen Einstellung auseinandersetzen
und einarbeiten. Hilft weder dies noch die wahrscheinlich längst bemühte
Supervision muß zum Schutze der PatientIn ein wohlgeordneter Therapieabbruch
erwogen werden.
Ende
Querverweise
Standort: Menschenbild, Anthropologie ...
*
Überblick Allgemeine und Integrative Psychotherapie:
Überblick und Kritik der
Metaphysik, Religion, Sekten, Ideologie und Weltanschauung aus allgemein-integrativer
und psycholologisch-psychotherapeutischer Perspektive.
Allgemeines
und Integratives Psychologisch-Psychotherapeutisches Manifest. Indikations-Paradigmata.
Außen-Darstellung
Allgemeine und Integrative Psychotherapie
Querverweise: Handlungsprinzipien: 1 Intuition
2 Heuristik
3 Flexibilität 4
KontrolleNachuntersuchung/
Qualitätssicherung
Kritisch: Die
grundlgenden Probleme und Aporie jeglicher Einzelfall- und damit Therapieforschung.
Grundzüge
einer idiographischen Wissenschaftstheorie.
Psychologie. Allgemeines und integratives Modell
der Psyche.
TOP-10. Theoretische Organisations-Prinzipien
des Therapieprozesses in der GIPT.
Übersicht Heilmittellehre
in der GIPT.
Psychotherapieforschung,
Evaluation und Qualitätssicherung in der GIPT-Praxis.
Grundbegriffe der Systemtheorie in der Allgemeinen
und Integrativen Psychologie und Psychotherapie.
Überblick Wissenschaft in der IP-GIPT.
Allgemeine und Integrative Kommunikationstheorie.
*
Suchen in der IP-GIPT,
z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff>
site:www.sgipt.org
z.B. Allgemeine und Integrapve Psychotherapie
site:www.sgipt.org. |
*
Dienstleistungs-Info.
*
Zitierung
Sponsel, Rudolf (DAS).
Menschenbild,
Anthropologie, Wertproblem und Metaphysik in der Allgemeinen und Integrativen
Psychologie und Psychotherapie. IP-GIPT. Erlangen:
https://www.sgipt.org/gipt/metaph0.htm
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