Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=06.09.2000 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 11.11.20
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel   Stubenlohstr. 20   D-91052 Erlangen
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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Wissenschaft, Bereich Konstruktivismus,  und hier speziell zum Thema:

    Welten, Wahrheit und die Konstruktion unterschiedlicher Wirklichkeiten
    aus denkpsychologischer und ontologischer Sicht der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie (GIPT1))

     nach  Sponsel (1995, S. 518 - 520)
    Internet-Erstausgabe 6.9.2000, Letztes Update 29.6.2
    Querverweise

    1. Die Welten im Erleben und Denken der Menschen

    Die objektiv wirkliche Welt
    Das, was physikalisch, chemisch, naturwissenschaftlich erfassbar ist und unabhängig vom spezifisch menschlichen Wahrnehmungssystem existiert.

    Die subjektiv wirkliche Welt
    Das, was uns sinnlich, empfindungs- oder wahrnehmungs- und erlebnismäßig gegeben ist. Die Welt, wie wir sie erleben, ist eine Konstruktion, in die auch persönliche und subjektive Momente mit eingehen. Daraus folgt optimistisch: Wir müssen die Dinge nicht unbedingt so „sehen", wie wir meinen, dass sie sind. Welten sind auch anders konstruierbar. Und manchmal hilft es sehr im Leben, seine Sichtweise und Perspektive zu verändern. Stellt sich die Welt für mehrere Menschen so dar, wie sie sich darstellt, können wir von einer gruppensubjektiven Welt sprechen. Stellt sich die Welt im Wesentlichen für alle Menschen mit einer normalen Wahrnehmungsausstattung annähernd gleichermaßen dar, so können wir auch von "der" intersubjektiven Welt sprechen.
    Anmerkung: Mit den vielen Wirklichkeiten, von denen Watzlawick (> Kommunikationstheorie) in seinen Werken spricht, sind meist subjektive Wirklichkeiten (Perspektiven) gemeint, wobei seine grundlegende Annahme zu kommunikationsrelativistisch anmutet.

    Die mögliche Welt
    Die Welt des Möglichen, Wahrscheinlichen, die Welt der Hypothesen, Dinge oder Ereignisse, die möglich sind, aber nicht sein müssen.

    Die Wunsch- und Wert-Welt
    Die Welt der Wünsche, Wünschbarkeiten, Werte und Ideale, wie sie sich auch in Gefühlen, Motiven, Bedürfnissen, Zielen und Absichten ausdrücken. Überschneidungen gibt es zur Phantasie- und zur Soll-Welt (Ideale). Was uns wichtig und wertvoll ist, gehört gewöhnlich zur Wunsch- und Wert-Welt. Aus der Wunsch- und Wert-Welt kann die Norm- und Soll-Welt konstruiert werden, indem einige Wünsche als für viele verbindlich erklärt werden (Gesetze, Recht, Sitte). Daraus ergibt sich dann die:

    Die Norm- und Soll-Welt
    Die Welt der Normen, Gebote, Verbote, des Erlaubten oder Freigestellten. Normen definierten Werte.

    Die Phantasiewelt
    Die Welt der  Phantasien, Tagträume, Träume, der Kunst, der Sagen und Märchen, Science Fiction usw. Dies ist die allgemeinste und freieste aller Welten.

    Man kann dieses grundlegenden Unterscheidungen verschiedener Welten zur leichteren Bezugnahme auch mit Referenzkürzeln versehen:

    Referenzwelten RWindex   [Quelle Dialektik]
    Bringt man die ontologischen Ebenen oder Referenzwelten durcheinander, kann man sich schnell verstricken und verheddern. Ich führe folgende ontologische Ebenen ein, um eindeutig kennzeichnen zu können, in welchen Referenzwelten wir uns befinden:
     

      Referenzwelten RWindex der ontologischen Bereiche OB.
      • RWO Objektive Welt (Natur, naturwissenschaftliche Welt) heiße die Referenz-Welt, die es auch gibt, wenn man sich die Menschen hinwegdenkt, wenn auch nicht für immer und ewig, sondern zeitlich begrenzt.
      • RWM Welt der Menschen, Individuen, Gruppen, Gemeinschaften, Gesellschaften und Staaten. Auch der Mensch gehört mit zur Natur und kann naturwissenschaftlich betrachtet werden.
        • RWME Erlebens-Welt heißt die Referenz-Welt, die der Mensch erlebt. RWME ist Teil der RWM. RWME und  RWMW können sich überschneiden, wobei auch nichtbewusste Wahrnehmungen das Erleben beeinflussen können.
        • RWMW Wahrnehmungs- oder Wirklichkeitswelt heißt die Referenz-Welt, die der Mensch mit seinem Wahrnehmungs- und Verarbeitungsapparat erfährt und konstruiert. RWMW  ist Teil der RWM.
        • RWMD  Denk- und Begriffswelt, ein Teil der Erlebens-Welt, heißt die Referenz-Welt, die der Mensch mit seinen Begriffsbildungen und ihren Beziehungen konstruiert und erzeugt. Die Denk- Begriffswelt kann als die Sprache des Geistes angesehen werden kann. RWMD ist Teil der RWM. und RWME.
        • RWMP  Phantasiewelt.
        • RWMN   Normwelt, die Welt der Gebote, Verbote und des Erlaubten.
        • RWMB  Wunsch- und Bedürfniswelt, die Welt der Wünsche und Bedürfnisse
        • RWMS Sprachliche Welt heißt die Referenz-Welt, die der Mensch in seiner Kommunikationssprache beschreiben kann. RWMS ist Teil der RWM.
        • RWMV Verhalten, handeln, tun.
      • RWm  Möglichkeitswelt, Welt der Wahrscheinlichkeiten.

      • RWonS  Referenzwelt ohne nähere Spezifikation: keine Referenzwelt angegeben, Bezugnahme ohne nähere Spezifikation. Der Normalfall beim Sprechen oder schreiben.



    2. Systematik der Welten (Ontologie der Welten)

    Vorbemerkung (31.8.3): Die Ontologie als philosophische Wissenschaft (Metaphysik) vom Seienden als solchen hat einen schlechten Ruf. Ungeachtet dieses schlechten Rufes halten wir die Differenzierung verschiedener Seinsebenen oder Welten, wie wir sagen, für notwendig und wichtig; viele logische und methodologische Probleme sind überhaupt nicht lösbar, wenn man die verschiedenen Seins- oder Weltebenen nicht unterscheidet.

    2.1  Die Dimensionen des wahrnehmenden Bezugssystems:

    1.     subjektive Welten
    2.     gruppensubjektive Welten
    3.     intersubjektive Welten
    4.     objektive Welten


    2.2 Die Dimensionen des Realitätsbezuges:

    1.     Wahrnehmung der Wirklichkeit
    2.     Möglichkeiten
    3.     Wünsche und Wertungen
    4.     Normative Gebote und Verbote
    5.     Phantasien


    Das wahrnehmende Bezugssystem (2.1) kann nun mit allen Dimensionen des Realitätsbezuges (2.2) kombiniert und in Beziehung gesetzt werden. Hierbei können sich unerwartete und verblüffende Einsichten ergeben. Kombiniert man z. B. die Objektive Welt mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit, so stellt sich zunächst einmal gleich die Frage: was soll das sein? Was ist das für ein Vergleich? Ist z. B. Licht unabhängig von einem wahrnehmenden Bezugssystem?

    Wie ist z. B. die Lehre der katholischen Kirche in diesem System einzuordnen? Nun, die Kirche behauptet gewisse Dinge, z. B. es gibt einen persönlichen Gott und ein Weiterleben nach dem Tode. Es komme darauf an, in bestimmter Weise zu leben zu versuchen. Diese Aussagen glaubt eine Gruppe von Menschen, andere nicht. Es handelt sich also beim wahrnehmenden Bezugssystem um eine gruppensubjektive Welt, in der alle Dimensionen des Realitätsbezuges eine Rolle spielen: Wahrnehmung der Wirklichkeit; Möglichkeiten, die gesehen werden; Wünsche, Wertungen, normative Gebote und Verbote (10 Gebote) spielen eine besondere Rolle und auch die Phantasie kommt sicher nicht zu kurz (unbefleckte Empfängnis Marias, Auferstehung Jesu, Unfehlbarkeit des Papstes, Hölle und Paradies usw).

    Und wie ist das z. B. mit einem Menschen, der sich - irrtümlich, wie die anderen  meinen - für Napoleon hält, der also, landläufig aus Sicht der kritischen Beobachter betrachtet, an einem Wahn leidet? Nun, der Wahn bekommt seinen pathologischen Charakter durch den unterschiedlichen Wirklichkeitsstatus, den der Wahnhafte und seine kritischen Beobachter der Merkmalszuordnung "Napoleon" zuordnen. Ist der Betreffende durch seine soziale Bezugsgruppe nicht überzeugbar, dass seine Merkmalszuordnung "Napoleon" nur Ausdruck eines Wunsches oder von Phantasien sind, so definiert die kritische soziale Bezugsgruppe den Betreffenden als wahnhaft oder wahnsinnig.

    Umgekehrt kann auch eine ganze Gesellschaft wahnsinnig reagieren, indem sie ihre Definitionsmacht missbraucht, etwa wenn eine rothaarige Frau vor 300 Jahren zur Hexe definiert wurde.

    Im Nationalsozialismus wurden Juden zu Unmenschen definiert und industriemäßig vernichtet, was von vielen Menschen widerstandslos hingenommen wurde.

    Die Erde ist eine Scheibe oder die Sonne dreht sich um die Erde sind andere interessante Konstruktionen.
    Dies führt uns auf die Frage: was ist "die" Wahrheit? Gibt es eine Wahrheit?  Oder ist alles nur Glaube, entsprungen aus Wunsch und Phantasie?


    3. Das Problem der Wahrheit

    Welche Geometrie ist die richtige? Welcher Zahlentyp ist im Falle X angemessen? Ist die Erde rund? Ist eine einheitliche Feldtheorie möglich? Was "ist" das Licht: Korpuskel oder Welle? Funktioniert die Natur deterministisch oder macht sie unberechenbare Sprünge, folgt Zufall und Willkür?  Ist es unzweifelhaft wahr, dass ich jetzt (ich blicke auf die Uhr), Donnerstag, den 27.4.2000, 12.02, diese Zeilen eintippe?
     



    Glossar, Endnoten, Anmerkungen
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    grundlegende Annahme Watzlawicks. Sein Buch "Wie wirklich ist die Wirklichkeit?" eröffnet er wie folgt: "Dieses Buch handelt davon, daß die sogenannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation ist. Diese These scheint den Wagen vor das Pferd zu spannen, denn die Wirklichkeit ist doch offensichtlich das, was wirklich der Fall ist, und Kommunikation nur die Art und Weise, sie zu beschreiben und mitzuteilen.
        Es soll gezeigt werden, daß dies nicht so ist; daß das wacklige Gerüst unserer Alltagsauffassungen der Wirklichkeit im eigentlichen Sinne wahnhaft ist, und daß wir fortwährend mit seinem Flicken und Abstützen beschäftigt sind - selbst auf die erhebliche Gefahr hin, Tatsachen verdrehen zu müssen, damit sie unserer Wirklichkeitsauffassung nicht widersprechen, statt umgekehrt unsere Weltschau den unleugbaren Gegebenheiten anzupassen. Es soll ferner gezeigt werden, daß der Glaube, es gäbe nur eine Wirklichkeit, die gefährlichste all dieser Selbsttäuschungen ist; daß es vielmehr zahllose Wirklichkeitsauffassungen gibt, die sehr widersprüchlich sein können, die alle das Ergebnis von Kommunikation und nicht der Widerschein ewiger, objektiver Wahrheiten sind.
        Die enge Beziehung zwischen Wirklichkeit und Kommunikation ist erst in letzer Zeit Gegenstand eingehenderer Untersuchungen geworden. Aus diesem Grunde hätte dieses Buch noch vor dreißig Jahren nicht geschrieben werden können. Und doch enthält es nichts, das sich nicht seit längster Zeit hätte denken, erforschen und anwenden lassen. Oder anders ausgedrückt: Die hier beschriebenen Sachverhalte waren unserem Denken nicht nur schon vor Jahrzehnten, sondern in ihren Ansätzen bereits der Antike zugänglich; was aber fehlte, war die Bereitschaft oder auch nur der Anlaß, sich mit dem Wesen und den Wirkungen der Kommunikation als eigenständigem Phänomen [>8] auseinanderzusetzen."
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    Querverweise
    Standort: Welten.

    • Überblick Wissenschaft in der IP-GIPT.
    • Über den Aufbau einer präzisen Wissenschaftssprache in Psychologie, Psychopathologie, Psychodiagnostik und Psychotherapie.
    • Überblick Definitionslehre in der GIPT.
    • Axiome - Grundannahmen der Allgemeinen und Integrativen Psychotherapie (GIPT).
    • Die grundlegenden Probleme und Aporie jeglicher Einzelfall- und damit Therapieforschung. Grundzüge einer idiographischen Wissenschaftstheorie.
    • Der Wissenschaftsbegriff und seine aktuelle Bedeutung.
    • Zahlen und neue Zahlen zum Messen im Unscharfen, Flüchtigen, Subjektiven und idiographischen.
    • Konstruktivismus - Formen & Varianten.
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site: www.sgipt.org
    z.B. Welten site: www.sgipt.org.
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    Zitierung
    Sponsel, R.  (DAS). Welten und  die Konstruktion unterschiedlicher Wirklichkeiten in der GIPT. Internet Publikation  für Allgemeine und Integrative Psychotherapie  IP-GIPT. Erlangen:  https://www.sgipt.org/wisms/welten0.htm
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    Änderungen wird gelegentlich überarbeitet, ergänzt und vertieft * Anregungen und Kritik willkommen
    11.11.20    Referenzwelten und ihre Kürzel.
    23.12.15    Korrigiert. Links geprüft. Layoutanpassung.
    02.04.11    Anmerkung zu Watzlawick (subjektive Welt).
    08.07.06    Meta-Arbeiten (Key, Links).