Geschichte des Atheismus
von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Von Georges Minois (2000). Weimar: Böhlaus
Nachfolger.
von Rudolf Sponsel, Erlangen
Erste Präsentation von mehreren Teilen
Zur Präsentation und Bewertung. Georges Minois hat mit seinem 740 Seiten-Buch ein umfassendes Werk zur Geschichte des Atheismus vorgelegt, das auch eine umfassende Präsentation erfordert, die mit dieser ersten Ausgabe, dem Inhaltsverzeichnis und Aus der Einführung beginnt und dann in mehreren Teilen fortgesetzt wird. Die Kapitelinhalte finden Sie hier: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, Schlußfolgerung, Literatur. Neu präsentierte Teile werden im Inhaltsverzeichnis jeweils verlinkt, so daß diese Seite neben dem Gesamtüberblick auch Verteilerseite zu den einzelnen Teil-Präsentationen ist. Wie man der ersten Präsentation bereits entnehmen kann, handelt es sich hier um ein ausgezeichnetes Werk, das den Atheismus auch konstruktiv als positive Weltanschauung und echte metaphysische Alternative darstellt. Detail- und kenntnisreich erfahren wir verdichtet und im Zusammenhang Erkenntnisse, die man sonst kaum wo findet. Als Beispiel sei nur der Abschnitt "Die klandestinen atheistischen und deistischen Manuskripte" herausgehoben. Hier erfahren wir z.B. (S. 383) daß die Sammlung des Abbé Sephér (1710-1781) 6993 klandestine Titel umfaßte. Ich gehe später noch ausführlicher auf dieses interessante und aufregende Kapitel der 'Untergrundliteratur' der französischen Frühlaufklärer ein.
EINFÜHRUNG 3.
ERSTER TEIL
DER ATHEISMUS IM ALTERTUM UND IM MITTELALTER 11
1. Kapitel: Am Anfang: Glaube oder Unglaube?
13
Problem des ursprünglichen Atheismus 13 Die primitive Mentalität:
das Mana 16 Weder Glaube noch Unglaube am Anfang: das mythische Bewusstsein
19 Vom gelebten Mythos zum konzeptualisierten Mythos: die Religion und
ihre Derivate 22 Vom gelebten Mythos zur Magie: die abergläubische
Haltung und ihre Derivate 25 Vom theoretischen Atheismus zum praktischen
Atheismus: eine Arbeitshypothese 28 Der Atheismus bei den primitiven und
antiken Völkern 30
2. Kapitel: Der griechisch römische
Atheismus 35
Bis zum 5. Jahrhundert: Anerkennung eines materiali~tischen Pantheismus
35 432 v. Chr.: das Dekret des Diopeithes, Beginn der Prozesse wegen Atheismus
und Gottlosigkeit 39 Vom Agnostiker Sokrates zu Diagoras und Theodoros
Atheos 41 Platon, Vater der Intoleranz und der Unterdrückung des Atheismus
46 Die Entmystifizierungen: Euhemeros und der stoische Pantheismus 51 Der
Epikureismus, ein moralischer Atheismus 54 Der Skeptizismus der griechisch
römischen Welt im 2. und 1. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung 59
Der antike Atheismus und seine Grenzen 62
3. Kapitel: Ein mittelalterlicher Atheismus?
68
»Jahrhunderte des Glaubens«? 68 Der arabisch moslemische
Beitrag zur Ungläubigkeit 72 Das Problem der doppelten Wahrheit 76
Die Verlockungen der Vernunft 79 Milieus von Ungläubigen 82 Das Bedürfnis
nach »Beweisen«beweist den Zweifel 85 WunderundSkeptizismus
89 »Hinter der Biederkeit grinst der Frevel« 92 Die Zeugnisse
des Unglaubens 95 Der materialistische Naturalismus der Bauern 99 Schwäche
der klerikalen Kontrolle 102 Die Welt der Exkommunizierten, potentieller
Atheisten 105
ZWEITER TEIL
DER SUBVERSIVE ATHEISMUS DER RENAISSANCE 109
4. Kapitel: Der Kontext des Unglaubens
in der Renaissance 111
Lucien Febvre und »Das Problem des Unglaubens im 16. Jahrhundert
111. Padua und Pomponazzi 114. Der Gebrauch des Zweifels in Italien 117
Ein neuer, dem Glauben weniger förderlicher soziokultureller Kontext
120 Die großen Reisen und das Problem der atheistischen Völker
124. Die Bedeutung des Vokabulars 126. Die Unreinheiten des Glaubens. Sinn
der Blasphemie 129. Der Teufel und der Atheismus 132. Ein verworrener Kontext
135.
5. Kapitel: Die Zeugnisse des Atheismus
im 16. Jahrhundert 140
Calvin, Enthüller des Unglaubens 140 Zeugnisse des Atheismus vor
1570 144. Ein europäisches Phänomen 147 Zunahme des Unglaubens
nach 1570 150. Ein Atheismus des Protests 153. Vom Mittelmeer bis England:
Der Skeptizismus im Volk 156.
6. Kapitel: Ein kritischerAtheismus (1500
1600) 161
Das Credo der Ungläubigen 161. Die Atheisten in der Apologetik:
Duplessis-Mornay 164. Charrons Huldigung 168. Der Unglaube in Italien von
Aretino bis Bruno 169. Dolet und Servet: die Märtyrer des freien Denkens
(1546 1553) 174. Der Unglaube als existentielle Revolte 179. Die agnostische
Botschaft des »Cymbalum mundi" (1537) 181 Der praktische Atheismus
der Randgruppen 184.
DRITTER TEIL
VONEINER BEWUSSTSEINSKRISE ZUR ANDEREN (1600-1730) 191
7. Kapitel: Die erste Krise des europäischen
Bewusstseins die skeptischen Libertins (1600 1649) 193
Das Denken der Freigeister 194 Ein neuer verworrener kultureller Kontext
198. Besorgnis über die Zunahme des Unglaubens: die Zeugnisse 201.
Das Denken der Libertins in den Augen von Pater Garasse (1623) 206. Haltung
und Herkunft der Libertins nach Garasse 211. Die Kontroversen um die Doctrirle
curiense 214. Das Milieu der Libertins 217. Die zweifelhaften Fälle:
Gassendi, Patin 222. Der skeptische Pessimismus von Naude und Le Vayer
223. Der epikureische Pessimismus von Vauquelin, Des Barreaux und Viau
226.
8. Kapitel: Die ungläubige Kehrseite
des Großen Jahrhunderts (1640 1690) 231
Die wachsenden Gefahren und Bossuets Besorgnis 231. Die literarischen
Zeugnisse 234. Die Zeit der Scheinheiligen 238. Die Epikur Welle 241. Bedeutung
der Libertins der zweiten Generation 244 Die dualistische Mentalität
246. Der Cartesianismus, ein Element des Unglaubens? 247. Spinoza, Hobbes,
Huet: der Glaube in der Defensive 252. Die Atome
und der Unglaube 256. Die Umwege des Unglaubens im 17. Jahrhundert:
Vanini 258. Cremonini und der italienische Atheismus 263 Holland und England:
ein zur Schau getragener Unglaube 265. Der Agnostizismus des 17. Jahrhunderts:
der Theoprastus von 1658 272.
9. Kapitel: Die zweite Krise des europäischen
Bewusstseins: Vernunft und Atheismus (1690- ca.1730) 274
Alle Wege führen zum Atheismus 274. Das Zeitalter des Argwohns
und des Zweifels 279. Die Reisen erzeugen den Unglauben 283. Vergleichende
Geschichte und Bibelkritik: zwei neue Mittler des Unglaubens 288. Bayle
und die Verteidigung der Atheisten 294 England, Heimat des freien Denkens
297. Collins, Toland und Shaftesbury 300. Der Kampf gegen den Atheismus
302.
VIERTER TEIL
DAS 18. JAHRHUNDERT — EIN JAHRHUNDERT DES UNGLAUBENS 307
10. Kapitel: Das Manifest des Abbe Meslier
(1729) 309
Der Skandal 309. Gott existiert nicht 312. Das einzige Sein ist die
Materie 314. Die Kritik der Offenbarung 318. Jesus, der »Erzfanatiker
320. Eine Irrsinnsgeschichte 322. Leben und Geheimnis des Jean Meslier
325. Die Verbreitung von Mesliers Ideen im 18. Jahrhundert 330. Meslier,
von der Revolution bis zur UdSSR 333. Mesliers Nacheiferer 336. Dom Deschamps
und seine atheistische Theologie« 339.
11. Kapitel: Irreliglosität und Gesellschaft
342
Bilanz der Pastoralvisitationen: Beginn einer Entfremdung 342. Das
Unverständnis der moralischen Autoritäten: Massillon 346. Schwäche
der Apologetik: Alionso de Liguori 348 Die Bestürzung des Klerus in
Frankreich (1750 1775) 351. Von der Bestürzung zur Panik (1775 1782)
353. Paris, Hauptstadt des Unglaubens: das Zeugnis von Mercier 357. Fortschritte
des Unglaubens in Mitteleuropa 360. Das Beispiel kommt von oben: Hochadel,
hoher Klerus, Großbürgertum 362. Kleinbürger, Handwerker,
Schiffer, Matrosen 366. Der Atheismus: ein Produkt des Christentums? Die
Trennung zwischen Profanem und Heiligem 370. Verantwortung der dogmatischen
Exzesse und des Jansenismus 374. Verbreitung des Unglaubens: Cafes, Clubs,
Zeitungen 377. Die klandestinen atheistischen und deistischen Manuskripte
381.
12. Kapitel: Die Infragestellung der Grundlagen
des Christentums und die Unschlüssigkeit des Deismus 389
Der Deismus oder die Angst vor der Leere 389. Ein unbeweisbarer, aber
präsenter Gott: Hume, Kant und die deutsche Philosophie 392. Die Ablehnung
der Vernichtung 396. Tod des Atheisten und Tod des Gläubigen 399.
Pessimismus von Gläubigen wie Ungläubigen 404 Die Uneinigkeit
der Verteidiger des Glaubens 406. Die Seele, die Moral, die Natur: Unschlüssigkeit
und politisches Problem 410. Deimus, Atheismus und Antiklerikalismus: Morelly
415. Antirationalismus und Skepsis 418. Voltaire und der »Bürgerkrieg
zwischen den Ungläubigen 421.
13. Kapitel: Die Erhärtung des atheistischen
Materialismus 426
Der Mythos des atheistischen Komplotts 426. Ursprünge und allgemeine
Merkmale des Materialismus 428. Skeptischer Atheismus (d'Alembert) und
praktischer Atheismus (Helvetius) 431. Vom Maschinen Menschen zum gewöhnlichen
Atheisten 434. »Was ist ein Atheist?« (Sylvain Marechal, 1800)
439. Die Abweichungen: nihilistischer Atheismus in Deutschland und sadistischer
Atheismus 441. Diderot, der besorgte Atheist, und d'Holbach, der heitere
Atheist 444 »Was ist ein Atheist?« (d'Holbach, 1770) 447.
FÜNFTER TElL
DAS JAHRHUNDERT DES TODES GOTTES (19. JAHRHUNDERT) 451
14. Kapitel: Die revolutionäre Entchristianisierung:
Durchbruch des Atheismus im Volk 453
Der Antiklerikalismus 453. Rote Pfarrer und atheistische Pfarrer: Mesliers
Nacheiferer 456. Die Missionare des Atheismus 462. Die dörflichen
Atheisten 464. Noch immer das Dilemma Atheismus Deismus bei den Führern
467. Ersatzreligionen? 471. Bilanz der Entchristianisierung 475.
15. Kapitel: Der Aufstieg des praktischen
Atheismus und seine Kämpfe 479
»Tour de France« der Irreligion 479. Ein Beispiel: die
Bretagne 482. Die Besorgnis der religiösen Autoritäten 487. Die
sozialen Schwankungen des Unglaubens 489. Die Rolle des Antiklerikalismus
494. Die Faktoren der Ungläubigkeit. Der posttridentinische Glaube
498. Das Freidenkertum, Speerspitze des Unglaubens 501. Das Freidenkertum,
eine Gegenkirche? 504. »Krieg gegen Gott« (Paul Lafargue) 506.
Die verschiedenen Aspekte des Kampfs 510
16. Kapitel: Vom Glauben zum Unglauben:
die Ersatzcredos 515
Die Kirche im Bruch mit der modernen Welt 515. Unzulänglichkeiten
der Theologie und der Exegese 520. Vom Glauben zum Unglauben durch das
Seminar und die Bibel: Renan, Turmel, Loisy, Alfaric 524. Die Religionsgeschichte,
Schule des Unglaubens 528 Die Wege des Atheismus, oder wie man im 19. Jahrhundert
den Glauben verliert 531 Die Nostalgiker Gottes 534. Die große Konfusion
der Credos 537. Die neuen Kirchen
17. Kapitel: Der systematische Atheismus
oder die Ideologien des Todes Gottes 545
Der Hegelsche Rationalismus und seine idealistische Nachkommenschaft
546. Feuerbach und der anthropologische Atheismus 549. Marx, Lenin und
der sozioökonomische Atheismus 553. Der historizistische Atheismus
556. Der verzweifelte psychologische und individualistische Atheismus von
Stirner, Schopenhauer und Hartmann 560. Nietzsche, vom Tod Gottes zum Wahnsinn
564. Der psychophysiolologische und psychoanalytische Atheismus 567.
SECHSTER TEIL
DAS ENDE DER GEWISSHEITEN (20. JAHRHUNDERT) 573
18. Kapitel: Atheismus und Glaube: vom
Krieg zum Waffenstillstand 575
Die Bewegung der »Gottlosen« in der UdSSR (1925 1935) 576.
Erschöpfung der »Gottlosen« und politische Wende (1935)
580 Der militante Atheismus in den marxistischen Ländern nach 1945
583. Die nichtmarxistischen atheistischen Bewegungen 585. Die rationalistischen
Kämpfe zwischen 1950 und 1980 587. Auf dem Weg zu einem Waffenstillstand?
590. Die »Vereinnahmung« der Atheisten durch die Kirche 592.
Läßt sich die Existenz Gottes beweisen? 596 Die Theologie kommt
dem Atheismus entgegen 598
19. Kapitel: Gott als Hypothese: ein überholtes
Problem? 604
Der Existentialismus: Ablehnung Gottes im Namen der Freiheit 604. Widersinn
der Gottesfrage für die analytische Philosophie 607 Die Wis¬senschaft:
Gott verneinen oder den Begriff revidieren? 609. Lockerung des Marxismus
614. Die soziologischen Untersuchungen und das Ausmaß des Unglaubens
615. Das Ende der Kategorien (Atheisten, Ungläubige, Agnostiker, Gleichgültige)
618. Im 20. Jahrhundert den Glauben verlieren: einige Beispiele 621 Psychologie
und Soziologie des Atheismus der Umwelt 624.
20. Kapitel: Bilanz des Unglaubens nach
zweitausend Jahren Christentum 628
Bedeutung des Unglaubens und Schwierigkeiten des militanten Atheismus
628. Die Zersplitterung des Glaubens: von Gott zum Geist 632. Zusammenbasteln
der Glaubensvorstellungen und Vereinnahmungsversuche 633. Die parawissenschaftliche
Versuchung und ihre Zweideu¬tigkeiten 636 Vom Atheismus zur Gleichgültigkeit
638. Die Jugend und Gott: eine massive Abkehr 641. Die »Wiederkehr
des Religiösen«: eine Illusion 646. Auf dem Weg zum Sinnverlust
649
SCHLUSSFOLGERUNG 652
Wird das 21.Jahrhundert irreligiös sein? 652
Anmerkungen 659
Auswahlbibliographie 706
Personenregister 719
Friedrich Nietzsche, DIE FRÖHLICHE WISSENSCHAFT, 1II, 125. |
"Eine Geschichte des Unglaubens und des Atheismus vorzulegen in einer
Zeit, da allenthalben die »Wiederkehr des Religiösen«,
die »Vergeltung Gottes«, die »Wiederverzauberung der
Welt« verkündet wird ist das Provokation, Leichtsinn,
ein Archaismus, ein Traum? Natürlich nicht.
Zum einen, weil alle diese Formen einer Pseudowiederkehr
ziemlich suspekt sind und die Wirklichkeit bei näherer Betrachtung
nicht entfernt einem religiösen Frühling entspricht. Gewiss,
die Regale der Buchhandlungen biegen sich unter historischen Werken: Geschichte
der Kirche, der Religionen, des Protestantismus, des Christentums, des
Glaubens, der Gläubigen, der Spiritualität; es wimmelt von Ratgebern,
Enzyklopädien, Wörterbüchern der religiösen Welt. Die
Religion lockt zwar nicht mehr viele Menschen in die Kirchen, aber sie
verkauft sich gut. Pater Decloux, der 1995 darüber klagte, dass die
Autoren sich darin gefielen, »ständig die Frage des Atheismus
aufzugreifen und immer mehr Bücher über den Atheismus zu verfassen«
[EN1], hatte wahrscheinlich die Regale »Atheismus« und »Religion«
in den Bibliotheken nicht genau verglichen. Ich selbst habe mehrere religionsgeschichtliche
Werke geschrieben und mich an Gemeinschaftsarbeiten über dieses Thema
beteiligt. Und gerade diese Flut von Büchern über den Glauben
hat mein Interesse für das Gebiet des Unglaubens geweckt, das nur
selten in einer historischen Perspektive untersucht wird.
Seit dem unauffindbaren Buch von Spitzel, Scrutinium
atheismi historico aetiologicam, das vor fast dreieinhalb Jahrhunderten,
1663, erschienen ist [EN2], sind historische Werke über den Atheismus
eine Seltenheit, und das vollständigste bleibt bis heute das von 1920
bis 1923 veröffentlichte vierbändige Werk von Fritz Mauthner
[RS: 1,2,3,] ,
Der
Atheismus und seine Geschichte im Abendlande. [EN3]
Der Atheismus war Gegenstand zahlreicher philosophischer,
soziologischer, psychologischer oder psychoanalytischer Studien; auch ist
er für ganz bestimmte Epochen und in begrenzten Regionen untersucht
worden, aber die einzigen vollständigen Synthesen sind sowjetische,
oft tendenziöse Arbeiten. [<3]
Es klafft hier also eine historiographische Lücke,
die gefüllt zu werden verdient, denn der Atheismus hat seine eigene
Geschichte, die nicht einfach das Negativ der Geschichte des religiösen
Glaubens ist. Dass es so wenige Werke über dieses Thema gibt, liegt
gerade an der negativen Konnotation, die sich mit dem Unglauben verbindet.
Alle zu seiner Bezeichnung verwendeten Termini haben eine negierende Vorsilbe:
A-theismus, Un-glaube, A-gnostizismus, In-differenz. »Dies zeugt«,
so liest man in L'Etat des religions, »von einer Geschichte,
einem Kampf, den Menschen aus der Welt des Göttlichen herauszureißen,
es zeugt auch von der Schwierigkeit, ein freies, autonomes, verantwortliches
Dasein wenn nicht zu leben, so doch positiv auszudrücken, ohne Wehmut,
ohne Bezugnahme auf ein Universum, von dem man sich befreien möchte.
Als bestünde ein Unbehagen oder ein Rest von Provokation darin, ohne
Gott und ohne Tenfel einfach unter Menschen zu existieren.« [EN4]
Der Terminus »Atheist« hat noch heute
eine leicht pejorative Konnotation und macht noch immer etwas Angst: Erbe
jahrhundertelanger Verfolgung, Verachtung und Gehässigkeit gegenüber
allen, die die Existenz Gottes leugneten und sich unwiderruflich verdammt
sahen. Unbewusst spukt noch heute die Idee der Verwünschung herum:
»Gott sei Dank, Gott existiert nicht. Wenn aber, was Gott verhüten
möge, Gott doch existiert?« sagt ein russisches Sprichwort.
Kann es in diesem Bereich je absolute Gewissheit geben? Ist die Wette nicht
riskant? Viele überzeugte Ungläubige zögern noch heute,
sich als Atheisten zu bezeichnen. Das Wort ist nicht neutral, und es riecht
noch immer nach dem Scheiterhaufen. Auch das Wort »Materialist«,
das ihm oft beigegeben wird, bewahrt einen verächtlichen Unterton:
da mit einer »gemeinen«, »niederen«, »primitiven«
Lehre verbunden, wurde es lange als Anklage oder Schimpfwort benutzt.
Es lastet also ein schweres affektives Erbe auf
dem Atheismus, einem sowohl für seine Anhänger als auch für
seine Gegner mit Aggressivität geladenen Begriff, denn es handelt
sich um die Negation schlechthin, die Negation Gottes. Wie lässt sich
die Geschichte einer negativen Haltung nachzeichnen? Die Geschichte »derer,
die sich widersetzen« wird meist vom gegnenschen Lager in die Hand
genommen und mit allen gängigen Vorurteilen behandelt. Der Unglaube
taucht in der Geschichte der Religionen haufiger auf als in Werken, die
sich mit ihm selbst befassen, und die Gefahr einer Geschichte des Unglaubens
besteht gerade darin, indirekt eine Geschichte des Glaubens zu schreiben.
Lange Zeit stammten die einzigen Zeugnisse bezüglich
des Unglaubens von den religiosen Autoritäten, die ihn unterdrückten,
insbesondere im 16. und 17. Jahrhundert. Noch im 20. Jahrhundert zögerte
ein so aufgeschlossener Geist wie Gabriel Le Bras nicht, die Geschichte
der Gottlosig[<4]keit, wenn auch mit wohlwollendem Blick, der Religionssoziologie
einzuverleiben: »Der Atheismus der modernen Kreise zwingt uns, alle
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie das gesamte Geistesleben zu
untersuchen: denn die Soziologie des Unglaubens ist eines der wichtigsten
und bewegendsten Kapitel der Religionssoziologie.« [EN5]
Nicht geringer ist die Schwierigkeit in der heutigen
Zeit: Wie soll man, abgesehen von den sehr minoritären militanten
atheistischen Bewegungen, die Geschichte einer Haltung nachzeichnen, die
keinen positiven Inhalt zu haben scheint? Würde man beispielsweise
auf den Gedanken kommen, die Geschichte derer zu schreiben, die nicht an
die Ouni glauben?
Ein weiteres Problem: das Vokabular, das eine Vielzahl
von Nuancen zum Ausdruck bringt. Zwischen dem strengen und reinen materialistischen
Atheisten und dem fundamentalistischen Gläubigen ist Raum für
den Agnostiker, den Skeptiker, den Indifferenten, den Pantheisten, den
Deisten - sie alle sind in denAugen der Gläubigen mehr oder weniger
Atheisten. Dabei bestehen zwischen ihnen erhebliche Unterschiede. Sogar
die Termini »Atheist« und »Ungläubiger« sind
nicht völlig synonym. Also Geschichte des Atheismus oder Geschichte
des Unglaubens? Lauter methodologische Fragen, die gleich zu Anfang gestellt
werden müssen.
Die ungläubige Haltung ist ein fundamentaler,
ursprünglicher, notwendiger und daher unausweichlicher Bestandteil
jeder Gesellschaft. Insofern hat sie zwangsläufig einen positiven
Inhalt und beschränkt sich nicht auf den Nicht Glauben. Sie ist eine
Affirmation: die Affirmation der Einsamkeit des Menschen im Universum,
die Stolz und Angst erzeugt. Allein vor seinem Rätsel, leugnet der
atheistische Mensch die Existenz eines übernatürlichen Wesens,
das in sein Leben eingreift, aber sein Verhalten stützt sich nicht
auf diese Negation; er nimmt sie als eine Grundgegebenheit (theoretischer
Atheismus) oder unbewusst (praktischer Atheismus) auf sich." ...
[<5] "Wie Georges Hourdin in Erinnerung ruft:
Der von den Religionen unabhängige Atheismus lässt sich
als der grandiose Versuch des Menschen auffassen, einen Sinn für sich
zu finden, seine Anwesenheit im materiellen Universum zu rechtfertigen
und sich einen unbezwingbaren Platz in ihm zu schaffen. Der religiöse
Mythos vom Turm zu Babel kann hierin eine unerwartete Deutung finden, die
sich von der gläubigen Exegese krass unterscheidet." ....
....
[<7] "Die Geschichte des Atheismus ist nicht nur die Geschichte
einer Idee, sondern auch die Geschichte eines Verhaltens. Deshalb werde
ich im Rahmen des Möglichen die soziologischen und religiösen
Untersuchungen heranziehen. Es gilt zu verstehen, wie und warum ein Teil
der europäischen Gesellschaft von Anfang an gelebt hat, ohne sich
auf irgendeinen Gott zu beziehen. Das erlaubt es, unserer kulturell zerrütteten
Zeit in Erinnerung zu rufen, auf welche Weise die Menschen von einst haben
leben können, indem sie ihrem Dasein einen Sinn außerhalb des
religiösen Glaubens gaben.
Mehr als jeder fünfte Mensch in der Welt ist
heute Atheist; und wie viele Gleichgültige, Sektierer, Agnostiker
enthalten die vier anderen Fünftel? Die Geschichte des Atheismus ist
nicht die Geschichte einer kleinen Minderheit. Sie betrifft Hunderte Millionen
Menschen, die nicht an Gott glauben können. Denn der Glaube lässt
sich nicht verordnen, nicht beweisen, nicht von außen aufzwingen.
Immerhin müssten die Gläubigen sich fragen, woher es kommt, dass
sie selbst glauben und so viele andere nicht glauben. Die Geschichte der
Ungläubigen sollte die Gläubigen nachdenklich stimmen.
Dieses Buch verfolgt keine apolegetische Absicht,
weder für noch gegen den Atheismus, für oder gegen den Glauben.
Sein Hauptmotiv ist eine Sinnsuche, die a priori keine Haltung verwirft.
Wir alle sind in ein seltsames Abenteuer verstrickt. Geboren, ohne darum
gebeten zu haben, leben wir, ohne zu wissen warum, und sterben, ohne eine
Entschuldigung zu erhalten; und wir alle müssen denselben Weg gehen,
ohne die geringste Erklärung beanspruchen zu dürfen. Viele stellen
sich die Frage nicht. Das sind wahrscheinlich die glücklichsten. Andere
haben fix und fertige, schlichte, unumstößliche Antworten parat,
die sie übernommen oder selbst erarbeitet haben; sie glauben daran
und haben sicherlich Recht, es dabei bewenden zu lassen: zumindest wissen
sie, wie sie sich zu verhalten haben. Schließlich gibt es jene, die
nichts von alledem begreifen, die Besorgten, die Verängstigten, jene,
die sich bei der Betrachtung dieser grotesken und grandiosen Welt seit
ihren Anfängen fragen: warum? und sich mit keiner Antwort zufrieden
geben. Der Historiker ist es sich schuldig, die Vergangenheit dieser drei
Haltungen mit Verständnis und Mitgefühl [<8] zu erforschen,
wohl wissend, dass er selbst in einer dieser drei Strömungen treibt,
die ihn übersteigen. Da ich zur dritten Gruppe gehöre, beneide
ich jene, die keine Fragen haben, sowie jene, die nur Antworten haben,
da ich selbst nur Fragen ohne Antworten habe.
Dieses Buch spricht von der Geschichte der Ungläubigen,
zu denen alle gehören, die die Existenz eines persönlichen Gottes,
der in ihr Leben eingreift, nicht anerkennen: Atheisten, Pantheisten, Skeptiker,
Agnostiker, aber auch Deisten, wobei es zwischen diesen Kategorien unendlich
viele Nuancen gibt. In ihrer Gesamtheit bilden sie vermutlich die Mehrheit
der Menschheit. Im Grunde ist es die Geschichte der Menschen, die nur an
die Existenz der Menschen glauben."
wird fortgesetzt
<suchbegriff site:www.sgipt.org>
Beispiel: <Atheismus
site:www.sgipt.org>
Hier gibt Ihnen die Suchmaschine aus, auf welchen IP-GIPT Seiten der Suchbegriff "Herrscher" vorkommt. |