Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=30.07.2012 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 01.04.15
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel  Stubenlohstr. 20  D-91052 Erlangen
    Mail:_sekretariat@sgipt.org_Zitierung  &  Copyright_

    Anfang_Anton Reiser__Überblick__Rel. Aktuelles __Rel. Beständiges  _ Titelblatt__ Konzept__ Archiv__ Region__Service-iec-verlag___ Wichtiger Hinweis zu Links
    Willkommen in unserer Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Kunst, Ästhetik, Psychologie der Kunst, Bereich Theater, und hier speziell zum Thema:

    Anton Reiser

    Nach Karl Philipp Moritz in einer Bearbeitung von Mirja Biel / Joerg Zboralski
    Eindrücke von der Inszenierung am 16.7.2012 im Theater Garage


    Bildrechte © JOCHEN QUAST links Bild-1 (Christian Wincierz), Mitte Bild-8 (Christian Wincierz, Robert Naumann) und Ausschnitt aus Bild 2, rechts (Robert Naumann (vorne), Christian Wincierz (hinten))

    von Rudolf Sponsel, Erlangen
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    Inhaltsübersicht
    Theater-Info  [Team].
    Eindrücke zu Inszenierung und Verlauf.
       Prolog: In höchster Erregung. *  Ich bin wichtig.
       Erster Teil: 
       Zweiter Teil: 
       Dritter Teil: 
       Vierter Teil: 
       Schluss.: 
       Publikumsgespräch.
       Eindrucksfazit.
    Besonderheiten der Inszenierung des Multimedia-Spektakels.
    Die großen Themen Anton Reisers.
    Exkurs I: Zur Psychopathologie Anton Reisers.
    Exkurs II: Zur Psychologie und Psychopathologie der Pubertät und des heranwachsenden Alters.
    Literatur (Auswahl).
    Links (Auswahl), Andere Theaterfassungen, Allgemeine Theater-Links.
    Glossar, Anmerkungen und Endnoten: 
         Aus dem Team nach Angaben des Theaters * Eindrücke * Entwicklungsroman * 
         Histrionsische Persönlichkeitsstörung und narzisstische Persönlichkeitsstörung * 
         Problematik und allgemeine Kriterien der Konzeption von Persönlichkeitsstörungen.* 
         Pubertät aus Sicht von Psychologen, Psychopathologen und Pädagogen. * 
         Literatur zur Pubertät und Adoleszenz * Zum Identitätsproblem in der Pubertät (Adoleszenz) * 
         Introspektion: DAS SELBST ALS GEGENSTAND DER BEOBACHTUNG, 
         Anmerkungen zum Introspektionsproblem in der IP-GIPT * 
         Karl Philipp Moritz und die Liebe  * Pyromanie * 
         Vorreden: Erster Teil [5] * Zweiter Teil [121] * Dritter Teil [237] * Vierter Teil [381].
         Werkorientierte Interpretation. 
    Querverweise. * Zitierung und Copyright. * Änderungen.



    Theater-Info  [Team]
    Aus der Ankündigung: "PREMIERE: 07. Juli | Garage | Dauer 1 Stunde 20 Minuten ohne Pause

    REGIE, BÜHNE & KOSTÜME: Mirja Biel / Joerg Zboralski
    DRAMATURGIE: Linda Best
    MIT: Robert Naumann, Christian Wincierz.

    Ein junger Student, der ärmlichen Verhältnissen entstammt, mittellos und leicht depressiv, erhofft sich eine Karriere und einen gesellschaftlichen Aufstieg. Doch seine Karriere kommt nicht ins Rollen und er sehnt sich verzweifelt nach Anerkennung und Ruhm in der Gesellschaft. Eine Biografie aus dem Jahre 2011? Weit gefehlt! Es ist die Geschichte eines jungen Mannes aus dem 18. Jahrhundert. Anton Reiser wächst in einem zerrütteten Elternhaus auf und wird vernachlässigt. Dies prägt ihn fürs Leben. Mit sich selbst hadernd, unfähig sich selbst zu akzeptieren, erlebt er in Folge Zurücksetzungen während seiner Schulzeit und Demütigungen durch seine Klassenkameraden. Alle um ihn herum meinen genau zu wissen, wie er denken und handeln soll. Er flüchtet sich in die Welt der Bücher und des Theaters und findet dort spannende Lebensentwürfe und verwandte Schicksale. Er beginnt daraus neue Hoffnung zu schöpfen und entfernt sich mehr und mehr vom wirklichen Leben. Reisers Flucht in die Theaterkunst wird zu einer Art Ersatzreligion, um dem eigenen verfehlten Leben zu entrinnen. Letztendlich stürzen ihn aber seine weltfremden Träume in immer tiefere Depressionen. Sein Leben ist ein einziger „Widerspruch von außen und von innen (…)“.

    ANTON REISER ist die feinfühlige Selbstanalyse eines introvertierten jungen Mannes, der unter falscher Selbsteinschätzung und gestörter Wahrnehmung leidet. Durch seine narzisstische Selbsterhöhung, seine Lust an der Selbstzerstörung und seine Unfähigkeit, das Leben in einem höheren Sinne zu deuten, wird er zum heutigen Zeitgenossen.

    Karl Philipp Moritz (1756–1793) hat sich mit ANTON REISER seine eigene Lebensgeschichte von der Seele geschrieben. Der psychologische Roman ist das bis heute bekannteste Werk von Karl Philipp Moritz und ein Schlüsseltext der deutschen Aufklärung."



    Eindrücke zu Inszenierung und Verlauf
    Vorbemerkung: Es ist für mich schwierig, mich auf die Inszenierung zu beschränken, weil ich mich mit Karl Philipp Moritz' Seelenerfahrungskunde schon seit längerem beschäftige und bereits 1998 eine Internetseite darüber anlegte. Anton Reiser lag bei uns schon lange auf der Anrichte, obwohl allein schon der Untertitel "Ein psychologischer Roman" gerade für einen Psychologen als Pflicht erscheint wie der Besuch der Inszenierung vor Ort. Ich will mich hier aber zunächst auf diese Inszenierung konzentrieren, so gut ich es eben kann, ganz kann es natürlich nicht gelingen, weil ich mich dem Vor- und Nebenwissen nicht völlig entziehen kann..

    Die Inszenierung ist klar gegliedert und besteht neben dem Vorspiel und dem Schluss aus den vier Teilen nach dem Roman, wobei zum Einstieg aus den jeweiligen Vorreden zitiert wird.
     

    Bildrechte © JOCHEN QUAST  Bild_1: v.l.: Christian Wincierz  (CW)
    Prolog: In höchster Erregung 
    Bevor der durchsichtige Vorhang aufgeht, steht ein junger Mann (Christian Wincierz) zitternd und gelegentlich leicht nach Luft ringend da. Mein erster Eindruck war höchste innere Erregung, die sich im Zittern Abfuhr verschaffte. 
       Ich meinte auch ein gelegentliches leichtes nach Luft ringen wahrzunehmen, was eine Assoziation in Richtung Hyperventilation auslöste, was gut passte, weil Hyperventilieren ja ebenfalls mit hoher, wenn auch angstebesetzter Erregung einhergeht.
       Hier steht ein Mensch in höchster Erregung, was für mich gut zur Zeit der Pubertät und Selbstfindungphase passt. Jedenfalls sind mir solcher Art Erregungzustände aus meiner eigenen Erfahrung aus der Jugend un dem dem heranwachsender Alter vertraut. 
       Der "Zittereinstand" dauerte eine ganze Weile - bis der durchsichtige Vorhang dann aufging - , mehrere Minuten. Er  war damit sehr eindringlich und bahnte damit die weiteren Assoziationen, Einfälle und Interpretationen. [Erst später, gegen Ende des ersten Teils wird beim Selbstmordversuch das Zittern erneut Thema] 
    Das rockfetzige Lied "ICH BIN WICHTIG" zu Beginn ("Vorspiel") liefert unmittelbar eine Erklärung für die Zeit der Erregung, die, entwicklungspsychologisch gesehen, zunächst einmal gar nichts mit einer narzißtischen Persönlichkeitsstörung zu hat, wie so mancher  Interpret in den Premierekritiken meinte, sondern schlicht ein "normales" Phänomen im Selbfstfindungsprozess in der Pubertät, des Jugend- und heranwachsenden Alters. Da gehören auch exaltierte Verhaltens- und Erlebensweisen dazu. Was also mit 16, 17, 18 entwicklungspsychologisch passend erscheint, wird 10 oder 20 Jahre später natürlich verwundern und Kopfschütteln hervorrufen. 

       Der spektakuläre Prolog endet mit einem Paukenschlag:  Zitterer-Protagonist I (CW) sagt "Liebe" und fällt um. Damit ist ein Kernthema (> Themen...) herausgehoben: Bedeutung der Liebe (aber).


    Erster Teil.  [Vorrede Original] Herkunft, Kindheit, 12-14, Herkunft, Beim Hutmacher in B., Krank, Fieber, Selbstmordversuch, Zurück nach H.

        Es tauchte sodann eine zweite Figur (Robert Naumann) auf, die zu Beginn des Stückes die Rolle als Vorleser - aus Anton Reiser (Reclamausgabe) und Kommentator einnahm.


    Bildrechte © JOCHEN QUAST Bild_2: v.l.: Robert Naumann (vorne), Christian Wincierz (hinten)

    Herkunft: Rob: "Mitten in die eheliche Zwietracht hinein wurde Anton geboren, und von ihm kann man mit Wahrheit sagen, daß er von der Wiege an unterdrückt ward. Die ersten Töne, die sein Ohr vernahm und sein aufdämmernder Verstand begriff, waren wechselseitige Flüche und Verwünschungen. Und ob er gleich Vater und Mutter hatte, so war er doch in seiner frühesten Jugend schon von Vater und Mutter verlassen,, denn er wußte nicht, an wen er sich anschließen, an wen er sich halten sollte. Diese ersten Eindrücke sind nie in seinem Leben aus seiner Seele verwischt worden und haben sie oft zu einem Sammelplatze schwarzer Gedanken gemacht. Seine junge Seele schwankte beständig zwischen Haß und Liebe, zwischen Furcht und Zutrauen zu seinen Eltern und dem Rest seiner Mitmenschen hin und her. Und so hatte er keinen, zu dem er sich gesellen konnte, keinen Gespielen seiner Kindheit, keinen Freund unter Großen noch Kleinen."
        Es wird die schreckliche Zeit beim selbstgerechten Hutmacher, natürlich ein guter Christ, der seine Abhängigen drangsalierte und ausbeutete, ohne auch nur die geringsten Skrupel, Zweifel oder Gewissensbisse zu haben (Abwehrmechanismus der Dissoziation und Abspaltung) geschildert. Hier wurde Anton krank und fieberte heftig und lange, ohn dass man sich um ihn besonders kümmerte:
        "Allein, sei es nun, daß diese unnatürliche Überspannung seiner Seelenkräfte oder die für seine Jahre zu große Anstrengung seines Körpers zur Arbeit ihn zuletzt niederwerfen mußte - er ward gefährlich krank. Seine Pflege war nicht die beste. Er phantasierte im Fieber und lag oft ganze Tage lang allein, ohne daß sich jemand um ihn bekümmerte. Die Szenen seines Lebens verwirreten sich untereinander. Und obgleich Anton nach einiger Zeit wieder gesundete, so blieb von diesem Tage an der Vorsatz fest bei ihm, im L.schen Hause nicht länger mehr zu bleiben, es koste auch, was es wolle. Dem Hause gegenüber war eine lateinische Schule, die Anton vergeblich zu besuchen gehofft hatte - und wenn er gar die erwachsenen Schüler herauskommen sähe, so hätte er alles darum gegeben, dieses Heiligtum nur einmal inwendig betrachten zu können. Er fühlte sich selbst als ein verächtliches, weggeworfenes Geschöpf. Es war dies eine der grausamsten Situationen in seinem ganzen Leben. Er suchte sich vor allen Menschen zu verbergen; jeder Laut war ihm zuwider, er eilte auf das Plätzchen hinter dem Haus an den Fluß hin und blickte oft stundenlang sehnsuchtsvoll in die Flut hinab. Verfolgte ihn dann selbst da irgendeine menschliche Stimme aus einem der benachbarten Häuser, so deuchte es ihm, als treibe die Welt ihr Hohngelächter über ihn, so verachtet, so vernichtet glaubte er sich.
    In einer dieser fürchterlichen Stunden war der Lebensüberdruß bei ihm zu mächtig, er fing auf dem schwachen Brette, worauf er stand, an zu zittern und zu wanken. ICH WILL WEG VON HIER!- Seine Knie hielten ihn nicht mehr empor; er stürzte in die Flut.
        Das ganze Haus lief zusammen, Anton wurde gerettet, von diesem Augenblick an aber als ein gefährlicher Mensch betrachtet, den man so bald wie möglich aus dem Hause fortschaffen müsse. - Der Hutmacher L. schrieb den Vorfall sogleich an Antons Vater, und dieser kam vierzehn Tage darauf mit unmutsvoller Seele nach B., um seinen mißratenen Sohn nach H. wieder abzuholen.
        Das Herz seines Vaters war gegen Anton kalt und verschlossen; denn dieser betrachtete ihn als einen, in dessen Herzen der Satan seinen Tempel errichtet habe - Doch je näher die Abschiedsstunde herannahte, desto leichter wurde Anton ums Herz."


    Zweiter Teil. [Vorrede Original] Schule wird durch Spenden möglich, Außenseiter Angst und Depression, Katastrophieren und Hineinsteigern, Theaterfaszination, Faust, Höllenzustände, Verfall und Einsamkeit.

    Bei allen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, die angedacht werden, spielt Erleben der eigenen Bedeutung eine grandiose Rolle. Und daher bewegt Anton Reiser auch am meisten ein Leben als Schauspieler, obwohl ihm auch die Rolle des Pfarrers, der vor vollem Hause predigt, zwischenzeitlich sehr zusagt. Das lässt sich in die einfache Formeln bringen: Ich suche Beachtung und Anerkennung durch große und beeindruckende Rollen, ich will von der Menge geliebt und bewundert werden.


    Bildrechte © JOCHEN QUAST Bild_3: v.l.: Christian Wincierz, Robert Naumann

    Der zweite Teil endet: Chr/Rob: "Ich muß zu allererst zu mir selber finden. Ich muß es erst entwirren, dieses Chaos von Himmel und Hölle, von Schmerz und Freude, das mich zerfetzt. Ich muß mich wochenlang ins Zimmer einschließen, werde nicht einen Schritt auf die Straße gehen, in dieser Zeit lerne ich Texte und mache Sprachübungen. Zehn, zwölf, vierzehn Stunden täglich. Oder die ganze Nacht. Ich werde tagelang im Park spazieren und werde nächtelang durch die Straßen laufen. Ich werde immerzu Texte sprechen und nichts von dem wahrnehmen, was um mich herum geschieht. Wenn ich bei den Sprachübungen müde werde , schlage ich mir ins Gesicht, um mich zu bestrafen. Ich muß es schaffen. Ich muß! Ich werde es beweisen.
    Ich muß lesen, lesen! Ich kann nichtmal richtig deutsch. Ich muß alles kennen, alles wissen! Ich muß Rollen lernen, lernen, lernen! Ich muß es allein herausfinden. Wie und worum man lacht und weint. Was Schmerz und Verzweiflung ist. Was Haß und Liebe ist. Was Sehnsucht ist und Erfüllung. Ich allein werde die Form des Ausdrucks eines Tages finden.
    Ins Theater, ins Theater - ich muß ins Theater."



    Dritter Teil.  [Vorrede Original] 16 LJ, Lesewut, Flucht in die Bücherwelt, Shakespeare, Publikum und Schauspieler, Das Menschen-Ich muss weg.

    Chr/Rob: " Reiser war nun etwas übers sechzehn Jahr. Er fühlte die Wahrheit: man ist unter so vielen Tausenden, die sind und gewesen sind, nur einer. Diese Unbedeutsamkeit, dies Verlieren unter der Menge war es vorzüglich, was ihm oft sein Dasein lästig machte. Er suchte sich nun ganz in sich zurückzuziehen und fing mit einer Art von Wut zu lesen an."
     

    Bildrechte © JOCHEN QUAST Bild_6: v.l.: Christian Wincierz (Schemen hinten), Robert Naumann (vorne)

    Bildrechte © JOCHEN QUAST Bild_5: v.l.: Robert Naumann (hinten), Christian Wincierz (vorne)

    Der hier kurze dritte Teil endet mit Rob: "Das Menschen-Ich muss weg!
    Lieber Mensch, sieh endlich von dir ab: Jeder Mensch ist reiner Stoffwechsel. Der totale Feind ist die Ich-Erkenntnis, die dich sehr „wichtig" macht. Die totale „Wichtigtuerei" entsteht, wenn die miese „Ich-Autonomie" sich als Virus an dir festbeißt und dir die Luft zum Atmen nimmt. Der Selbstverwirklichungsfanatismus des Menschen ist der blanke Horror: Privatmeinungen sind obszön und irrelevant. Wie "ich" etwas finde, ist komplett bedeutungslos. "Sich selbst zu finden" ist unmöglich, ekelhaft, antirevolutionär und widerlich. Deinen eigenen Traum zu leben ist selbstgerecht, stinkend ohnmächtig und banal."
     



    Vierter Teil.  [Vorrede Original]  Reise- und Wanderlust, Bemühen um eine Rolle, Absage: am Boden zerstört, "Ruhm und Beifall zu erwerben, das war von jeher Antons höchster Wunsch gewesen",  Schauspieler Hinterherlauferei (Schicksalsnarretei),


    Bildrechte © JOCHEN QUAST Bild_4: v.l.: Robert Naumann (vorne), Christian Wincierz (hinten)

    Der vierte Teil ist vor allem dadurch bestimmt, dass Reiser der Schauspieltruppe meist vergeblich (Schicksalsnarretei) hinterher reist. Als er sie am Ende doch noch findet, hat er sie dennoch verloren:
    .
    "Als er in L in dem Gasthofe, den man ihm genannt hatte, eintrat, fand er denn auch schon eine ziemliche Anzahl von den Mitgliedern der C'schen Truppe vor. Allein er wunderte sich über deren Niedergeschlagenheit, bis er die Nachricht zu hören bekam, daß der Prinzipal der Truppe gleich bei seiner Ankunft in L. die gesamte Theatergarderobe verkauft habe und mit dem Geld davongegangen sei.
    Anton verstand zunächst nicht recht und stellte Nachfrage um Nachfrage - bis es auch endgültig an seine Ohren drang: Die Schauspielergesellschaft C war also nun eine zerstreuete Herde - und auch an diesem Ort blieb für ihn nichts zu hoffen.
    Die Saite war bis zur höchsten Spannung hinaufgewunden, und nun sprang sie. -

    Schluss.  Song: I did it my way, Russische Roulette, Prolog Musik ICH BIN WICHTIG, Kuss und Schuss ins Publikum.

    Bildrechte © JOCHEN QUAST Bild_8: v.l.: Christian Wincierz, Robert Naumann

    CHRISTIAN:  I did it my way   (Anmutung: bewusst gequält, latent jammerig vorgetragen - ein scharfer Kontrast zum positiven Inhalt des Liedes: sein Leben trotz Hindernissen oder Fehlern annehmen und persönlich angemessen zu gestalten)

    Die Vorstellung endet mit wohlverdientem langem Beifall.



    Publikumsgespräch.
    Nach der (vorgezogenen) Vorstellung fand mit den beiden Haupdarstellern Robert Naumann, Christian Wincierz, dem Regieassistenten Florian Götz und der Regisseurin Linda Best ein Publikumsgespräch mit ca. 30-35 Interessierten statt. Hier wurde u.a. gefragt, ob spontane Umsetzungen stattfanden (Nein, alles streng nach Drehbuch und Regie); nach der Authenzität der Texte (alles gehört zu dem Roman); ob playback angewandt wurde (Ja, der Text zum Schluss wurde zwar projiziert und scheinbar von der Leinwand abgelesen, tatsächlich aber vom Band eingespielt). Der Schluss schien einigen etwas rätselhaft. Der Kuss wurde aus dem Publikum als narzisstische Ausdrucksform interpretiert. Das russische Roulette gab Rätsel auf (Leben als Schicksals-Lotterie?), mehr als der Schuss ins Publikum. Die vielen Spiegelungen unterstrichen wohl das Narzissmusthema.



    Eindrucksfazit.
    Als Generalbotschaft blieb mir hängen, dass das allzuviele oder intensive Kreisen um das eigene Ich, die eigene Rolle, die eigene Bedeutung nicht gut tut, keine Lösung ist. Diese Botschaft mag stimmen, aber es fehlt die positive Orientierung. Zwar kann das Lied My Way als Positivorientierung verstanden werden. Offen blieb: wie kommt man zu einer solchen positiven Haltung, insbesondere, wenn man aus widrigen und prekären Verhältnissen kommt? Hier wäre vielleicht ein Epilog frei nach Brecht eine Variante, über die das Theater nachdenken könnte. Das könnte man auch damit verbinden, dass der Roman ja unvollendet geblieben ist (Moritz starb 3 Jahre nach Veröffentlichung des vierten Teils im Alter von nur 37 Jahren). Hier könnte auch einfließen, dass Karl Philipp Moritz viel erreicht hatte (schließlich kennen wir ihn heute noch und beschäftigen uns mit ihm), gerade angesichts seiner widrigen Hintergrund- und Rahmenbedingungen. Das hilft aber nichts, wenn man es nicht so bewertet, denn frei nach den Stoikern gilt wohl: Nicht die Tatsachen sind schlimm (oder gut), sondern wie man sie bewertet (was die Bedeutung, den Wert und Nutzen kognitiver Therapie unterstreicht).
        Die Komödiantisierung und Oberflächenkritik des Narzissmus greift angesichts solcher Ausgangsbedingungen ein wenig zu kurz. Zumal die Neigung und Sehnsucht nach (nicht-erotischer) Liebe, Beachtung, Bewunderung aus der Kindheitserfahrung entwickelt und einfach verstehbar dargestellt wurde - ohne dass man hierzu Psychologe sein müßte. So gesehen waren die Lesungen aus dem Buch unmittelbar verständlich präsentiert.
        Insgesamt sehr anregend, für mein Alter vielleicht etwas zu viel und zu schnell. Das steckt viel Arbeit drin, daher ein dickes Kompliment an alle, die dies ermöglichten, nicht zuletzt auch an die Technik.



    Besonderheiten der Inszenierung des Multimedia-Spektakels:
    • Die Aufgabe, einen 499 Seiten Roman in ein - zeitgemäß ansprechendes - 80 Minuten Theaterstück vom Umfang eines 36 Seiten Skripts - repräsentativ - abzubilden. Das dies beabsichtigt ist, ergibt sich aus der Gliederung nach den vier Teilen des Romans. Eine inhaltliche Überprüfung am Beispiel der Herkunft ergab eine stimmige Repräsentation.
    • Doppelbesetzung, Wechsel und Kommentator, Rollenvielfalt.
    • Spiegelungen, technische und multimediale Projektionen


    Die großen Themen Anton Reisers

    • Die Bedeutung - und die Ungerechtigkeit - des Milieus und der Herkunft.
    • Die Prägung des Milieus, Elternhaus, Familie, Herkunft und gesellschaftliche Stellung.
    • Entwicklungspsychologie der Kindheit, Jugend- und heranwachsenden Zeit. ("Entwicklungsroman")
    • In eine Atmosphäre von Streit, Zwist und Zwietracht, Beschimpfungen und Entwertungen hineingeboren - wogegen offenbar auch eine pietistisch religiöse Einstellung nicht schützt.
    • Bedeutung - unstimmiger -  religiöser Kindheits- und Jugenderfahrungen.
    • Kritik des Pietismus, u.a.: "Alles bis auf die kleinsten häuslichen Beschäftigungen hatte in diesem Hause ein ernstes, strenges und feierliches Ansehn. In allen Mienen glaubte man ›Ertötung‹ und ›Verleugnung‹ und in allen Handlungen ›Ausgehen aus sich selbst‹ und ›Eingehen ins Nichts‹ zu lesen." [I,2]
    • Mangelnde Liebe, Anerkennung  und Förderung im Elternhaus.
    • Entwicklung einer grenzenlosen Sehnsucht nach Bedeutung, Anerkennung, Bewunderung (> histrionsische, narzißtische Störung?)
    • Das große Thema der Selbstbeobachtung (Introspektion).[Anmerkungen zum Selbstbeobachtungsproblem]
    • Die zunehmende Bedeutung von Phantasie, Tagtraum, Ersatz- und Wunschwirklichkeiten.
    • Die Entdeckung der großen Möglichkeiten der Sprache, insbesondere des Lesens (multimedial in der Inszenierung sehr drastisch, unmittelbar plakativ durch die Buchstabenprojektionen eindringlich veranschaulicht).
    • Übermächtig starke Wünsche nach Bildung und Wissen.
    • Katharsis durch Ersatzhandlungen (> Psychopathologie ...), wobei eine unterdrückte Aggression und destruktive Wünsche mit pyromanischer Komponente zum Ausdruck kommen.
    • Die große Bedeutung unmittelbarer Erfahrung von Bedeutung (öffentlich predigender Pfarrer, Theaterleute).
    • Die starken seelischen Erregungsphasen in der Pubertätsphase und heranwachsenden Zeit. Krisenzeiten des Lebens (> Schnittpunkte des Lebens).
    • Narreteien des Schicksals (hinterher suchen der Schauspieltruppe)
    • Unbefangene der Annahme von Herausforderungen (Rollenbewältigungen).
    • Hin- und Herrschwanken zwischen polarisierenden Wünschen (Extraversion - Introversion).
    • Tiefgreifende Ambivalenzkonflikte.
    • Psychosmatische Reaktionen, Erkranken an widrigen Bedingungen, Scheitern, Chancenlosigkeit; Hypochondrie.
    • Manisch-depressive bzw. bipolare Grundstörung.
    • Ausgrenzung, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Selbstmordversuch.
    • Extreme Bedeutung der Außenwelt, überwertige Orientierung an Stellung, Rang, Status (Kompensation der frühen Entbehrungen?)
    • Einen Beruf, die eigene Stellung und Möglichkeiten angemessener Selbstverwirklichung zu finden.
    • Suchen einer ich-angemessenen Lebensform und Stellung im Leben und in der - für Anton Reiser besonders wichtigen - Gesellschaft.
    • Interessant ist schließlich auch noch, womit sich Anton Reiser nicht beschäftigt: Freundschaft, echte Beziehungen, Hingabe, Sexualität, Verliebtheit, Liebe (zwischen Mann und Frau > Anton Reiser, die Frauen, Liebe und Sexualität).


    Exkurs I: Zur Psychopathologie Anton Reisers.
    Rob/Chr: "Jaaa, als einmal wirklich in der Nacht ein Haus abbrannte, so empfand Anton bei allem Schreck eine Art von geheimen Wunsche, daß das Feuer nicht
    »so bald gelöscht werden  möchte. Dieser Wunsch hatte nichts weniger als Schadenfreude zum Grunde, sondern entstand aus einer dunklen Ahndung von großen Veränderungen, Auswanderungen und Revolutionen, wo alle Dinge eine ganz andre Gestalt bekommen und die bisherige Einförmigkeit aufhören würde. Chr: Selbst der Gedanke an seine eigne Zerstörung war ihm nicht nur angenehm, sondern verursachte ihm sogar eine Art von wollüstiger Empfindung." [> Von der Lust am Untergang]
        Martens Nachwort der Reclamausgabe (S.545-567) enthält eine bis auf wenige Ausnahmen - z.B. die meines Erachtens falsche Unsicherheitshypothese S. 552 unten - stimmige und eindrucksvolle Psychopathographie Anton Reisers. Die Sehnsucht oder sogar Sucht nach Beachtung und Bewunderung ist sicher eher auf den Mangel an Liebe, Anerkennung und Beachtung daheim im Elternhaus zurückzuführen. Daraus ergab sich ein massives Selbstwert- und Befindensproblem.
        Beispiele aus Reiser:
    "Als er von Pyrmont wieder nach Hause gereist war, schnitzte er sich alle Helden aus dem Telemach von Papier, bemalte sie nach den Kupferstichen mit Helm und Panzer und ließ sie einige Tage lang in Schlachtordnung stehen, bis er endlich ihr Schicksal entschied und mit grausamen Messerhieben unter ihnen wütete, diesem den Helm, jenem den Schädel zerspaltete und rund um sich her nichts als Tod und Verderben sahe.
        So liefen alle seine Spiele, auch mit Kirsch- und Pflaumkernen, auf Verderben und Zerstörung hinaus. Auch über diese mußte ein blindes Schicksal walten, indem er zwei verschiedne Arten als Heere gegeneinander anrücken und nun mit zugemachten Augen den eisernen Hammer auf sie herabfallen ließ, und wen es traf, den traf's.
        Wenn er Fliegen mit der Klappe totschlug, so tat er dieses mit einer Art von Feierlichkeit, indem er einer jeden mit einem Stücke Messing, das er in der Hand hatte, vorher die Totenglocke läutete. Das allergrößte Vergnügen machte es ihm, wenn er eine aus kleinen papiernen Häusern erbauete Stadt verbrennen und dann nachher mit feierlichem Ernst und Wehmut den zurückgebliebenen Aschenhaufen betrachten konnte.
        Ja, als in der Stadt, wo seine Eltern wohnten, einmal wirklich in der Nacht ein Haus abbrannte, so empfand er bei allem Schreck eine Art von geheimen Wunsche, daß das Feuer nicht so bald gelöscht werden möchte.
        Dieser Wunsch hatte nichts weniger als Schadenfreude zum Grunde, sondern entstand aus einer dunklen Ahndung von großen Veränderungen, Auswanderungen und Revolutionen, wo alle Dinge eine ganz andre Gestalt bekommen und die bisherige Einförmigkeit aufhören würde." [Q]
     

    Exkurs II: Zur Psychologie und Psychopathologie der Pubertät und des heranwachsenden Alters - bei Anton Reiser.
    Die Pubertät ist charakterisiert durch die Entwicklung der Geschlechtsreife, der Selbstorientierung, Selbstbehauptung und Selbstfindung. Die sog. peer-group und die Stellung, die man in ihr einnimt, wird sehr bedeutend, das Elternhaus nervt und verliert an Einfluss. Man versteht sich selbst nicht so recht, fühlt sich hin- und hergerissen, will einmal das und dann wieder das Gegenteil. Man möchte frei und unabhängig seibn, sein eigenes Leben leben, ohne so richtig zu wissen, wie es aussieht und was konkret bedeutet. Hotel Mama wird nicht selten gerne genutzt, soziale Pflichten weniger. Eine wichtige Rolle spielt im allgemeinen die Auseinandersetzung, das sich zurechtfinden, mit den sexuellen Regungen. Das scheint bei Anton Reiser überhaupt keine Rolle zu spielen. Das ist umso verwunderlicher, als es ja in den allermeisten Theaterstücken eine Rolle spielt und ihm schon aufgrund seiner großen Interesses für das Theater nicht verboregn bleiben konnte.
    Recherche und Fazit zu Anton Reiser, die Frauen, die Liebe und die Sexualität (> Karl Philipp Moritz und die Liebe):die Sexualität spielt in Anton Reisers Entwicklung, Pubertät und Jugend keinerlei Rolle. Es gehört für mich zu den Merkwürdigkeiten Anton Reisers, dass Liebe zwischen Mann und Frau, Sexualität oder eine Freundin keine Rolle spielen. Die Abwesenheit dieses Themas scheint die Reiser-Forschung bislang nicht zu beschäftigen. Ich habe den ganzen Text noch einmal aus Zeno.org in ein Worddokument zusammengebunden, um systematisch nach bestimmten Worten (Mädchen, verliebt, Sex, Freundin, Liebe) zu suchen. Hierbei ergab sich folgendes (woraus ich das Fazit oben zog):
        Mädchen: S. 111, 114, Dienstmädchen 192.
    S. 241: "Dieser Anfang bezog sich zum Teil auf Philipp Reisers verliebte Launen, womit ihn dieser oft quälte, indem er ihm alle die allmählichen Fortschritte erzählte, die er in der Gunst seines Mädchens getan hatte – und seine Hoffnungen und Aussichten, die sich alle auf die Erreichung der Gegengunst seines Mädchens beschränkten. – Wofür nun Anton Reiser gar keinen Sinn hatte, dem es nie eingefallen war, sich die Liebe eines Mädchens zu erwerben, weil er es für ganz unmöglich hielt, daß ihm bei seiner schlechten Kleidung und bei der allgemeinen Verachtung, der er ausgesetzt war, je ein solcher Versuch gelingen würde. –
    Denn so wie er die Verachtung, welche auf seinen Geist fiel, gleichsam mit zu sich selber rechnete, so rechnete er auch die schlechte Kleidung mit zu seinem Körper, der ihm denn ebenso wenig liebenswürdig als sein Verstand achtungswürdig vorkam. – Kurz, es war ihm der ungereimteste Gedanke von der Welt, daß er je von einem Frauenzimmer geliebt werden sollte. – Denn von den Helden, die in den Romanen und Komödien, die er gelesen hatte, von Frauenzimmern geliebt wurden, machte er sich ein so hohes Ideal, das er nie zu erreichen imstande zu sein glaubte. –
        Die eigentlichen Liebesgeschichten waren ihm daher auch höchst langweilig, und am langweiligsten die Erzählungen von den Liebesabenteuern, womit ihn sein Freund Philipp Reiser unterhielt, und die er manche Stunde bloß aus Gefälligkeit für ihn anhörte."
        S. 253: "Was aber nun die eigentlichen Leiden Werthers anbetraf, so hatte er dafür keinen rechten Sinn. – Die Teilnehmung an den Leiden der Liebe kostete ihm einigen Zwang – er mußte sich mit Gewalt in diese Situation zu versetzen suchen, wenn sie ihn rühren sollte – denn ein Mensch, der liebte und geliebt ward, schien ihm ein fremdes, ganz von ihm verschiedenes Wesen zu sein, weil es ihm unmöglich fiel, sich selbst jemals als einen Gegenstand der Liebe von einem Frauenzimmer zu denken. – Wenn Werther von seiner Liebe sprach, so war ihm nicht viel anders dabei, als wenn ihn Philipp Reiser von den allmählichen Fortschritten, die er in der Gunst seines Mädchens getan hatte, oft stundenlang unterhielt. –"
        S. 364: "Nie aber in seinem Leben ist seine Teilnahme an einem fremden Schicksale stärker gewesen, als sie es gerade diesen Abend an dem Schicksale der Liebenden war, welche durch den drohenden Todesstreich getrennt werden sollten. Es traf bei ihm zu, was Homer von den Mädchen sagt, die um den erschlagenen Patroklius weinten, sie beweinten zugleich ihr eigenes Schicksal."
        Sex kam gar nicht vor, außer im Namen eines Rektor: "Sextroh"
    Verliebt, S. 283: "Sobald sich auch sein Ausdruck dahin lenkte, wurde er natürlich und wahr. – Wie er denn einmal den Auftrag erhielt, für jemanden verliebte Klagen zu dichten. – Eine Situation, in welche er sich mit aller Anstrengung nicht versetzen konnte, denn weil er gar nicht glaubte, daß er von einem Frauenzimmer je geliebt werden könnte – indem er sein ganzes Äußre einmal für so wenig empfehlend hielt, daß er gänzlich Verzicht darauf getan hatte, je zu gefallen; so konnte er sich nie in die Lage eines solchen setzen, der dar über klagt, daß er nicht geliebt wird – was er also hievon wußte, das dachte er sich bloß, ohne es je empfinden zu können. – [284] Demohngeachtet gerieten ihm die verliebten Klagen, die er entwarf, nicht ganz übel, weil er das kurz darin zusammendrängte, was er aus Romanen und Philipp Reisers Unterredungen wußte.
    – Zuletzt aber dachte er sich nun den Liebhaber in einem Zustande, wo er vom Überrest seiner Leiden niedergedrückt der Verzweiflung nahe ist, und ohne nun ferner auf die Ursach der Verzweiflung Rücksicht zu nehmen, dachte er sich nun den Verzweiflungsvollen und konnte sich wieder in seine Stelle versetzen. – Der letzte Vers dieser verliebten Klagen schien ihm daher auch unter den Händen zu geraten. –"
        Freundin kommt im Text gar nicht vor.





    Literatur (Auswahl)
     
    • Moritz, Karl-Philipp (1785-1790). Anton Reiser [GP, ZO; ohne originale Texthervorhebungen]
    • Moritz, Karl-Philipp (1785-1790). Anton Reiser. Mit Textvarianten, Erläuterungen und einem Nachwort herausgegeben von Wolfgang Martens. Stuttgart: Reclam [mit Texthervorhebungen > S. 538].



     

    • Fürnkäs, J. (1977). Der Ursprung des psychologischen Romans. Karl Philipp Moritz' Anton Reiser, Stuttgart
    • Kaiser, Joachim  (2002, Hrsg.): Das Buch der 1000 Bücher. Harenberg Verlag.
    • Kim, Hee-Ju  (2005). Ich-Theater. Zur Identitätsrecherche in Karl Philipp Moritz' 'Anton Reiser'. Diss. Deutsch Universitätsverlag Winter.
    • Košenina, Alexander (2009). Karl Philipp Moritz. Literarische Experimente auf dem Weg zum psychologischen Roman. [Inf]
    • Müller, L. (1987). Die kranke Seele und das Licht der Erkenntnis: Karl Philipp Moritz' Anton Reiser, Frankfurt/M.
    • Schrimpf, H.J. (1963). Karl Philipp Moritz' Anton Reiser. In: B. v. Wiese (1963, Hrsg.): Der deutsche Roman vom Barock bis zur Gegenwart, Bd. 1, Düsseldorf: , S. 95-131.


    Allgemeine Theaterliteratur.
    Sucher, C. Bernd  (1996). dtv-Lexikon Theater. Sachlexikon. München: dtv.
    Sucher, C. Bernd  (1999). dtv-Lexikon Theater. Personenlexikon. München: dtv.
    Beide Bände vereinigt in der Digitalen Bibliothek Bd. 64.



    Links (Auswahl: beachte)
        Veränderte URLs ohne Weiterleitung wurden entlinkt.
    • Karl Philipp Moritz Anton Reiser Ein psychologischer Roman: Gutenberg.
    • Beiträge zur Philosophie des Lebens (Google eBook)
    • Karl Philipp Moritz: Zeno.org.
    • Wikipedia: Mayway.
     
    Medienstimmen zur Inszenierung in der Garage:
      Nachtkritik: Anton Reiser in Erlangen.
     
    Andere Theaterfassungen
      Schauspiel Staatstheater Stuttgart 2007/ 08
      Anton Reiser. Nach dem Roman von Karl Philipp Moritz Anton Reiser soll werden, was andere von ihm erwarten. Er soll ihre Vorstellungen und Wünsche erfüllen. Im Elternhaus, bei der Ausbildung, in der Schule, im Studium, am Hof; jeder, der ihm einmal ein Essen oder ein Dach über dem Kopf gab, meint genau zu wissen, wie Anton zu denken und zu handeln hat. Wie süchtig stürzt er sich in die Welt der Literatur. Reiser will all diese Leben führen. Aber wie und wo kann er diese vielen Lebensentwürfe verwirklichen? (90 Min.). Inszenierung: Anja Gronau. Bühne: Kathrin Hieronimus. Kostüme: Olaf Habelmann. Dramaturgie: Frederik Zeugke Mit Thomas Eisen, Sebastian Schwab, Peter Sikorski. Wiederaufnahme (Schauspielhaus)


    Allgemeine Theater-Links:
        Veränderte URLs ohne Weiterleitung wurden entlinkt.

    • Die Deutsche Bühne * Perlentaucher. * Theater Heute * Theater-Index. * Theaterkritik (Kultur Online). * Theaterlexikon: [PDF] * Theater Online , DU, (Links). * Theater-Paradies-Deutschland. * ZDF-Theaterkanal. * SR-Online. * Berliner Schauspielschule Theaterkritiken: Online.* 3sat Theater. * Dramaturgie: [W] * Theaterstück [W.Drama]


    Sonstiges
    "Ich bin wichtig" im  Internet:

    • Online-Netzwerk-Lernen: Ich bin wichtig Text:
    • VSP e.V.:  "Ich bin wichtig!" - Selbstbestimmung, Mitreden, Mitgestalten.
     


    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    GIPT = General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Überblick: Aus dem Team nach Angaben des Theaters * Eindrücke * Entwicklungsroman * Histrionsische Persönlichkeitsstörung und narzisstische Persönlichkeitsstörung * Problematik und allgemeine Kriterien der Konzeption von Persönlichkeitsstörungen.* Pubertät aus Sicht von Psychologen, Psychopathologen und Pädagogen. * Literatur zur Pubertät und Adoleszenz * Zum Identitätsproblem in der Pubertät (Adoleszenz) * Introspektion: DAS SELBST ALS GEGENSTAND DER BEOBACHTUNG,  Anmerkungen zum Introspektionsproblem in der IP-GIPT *  Karl Philipp Moritz und die Liebe  * Pyromanie *  Vorreden: Erster Teil [5] * Zweiter Teil [121] * Dritter Teil [237] * Vierter Teil [381].* Werkorientierte Interpretation. *
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    Aus dem Team nach Angaben des Theaters
      Mirja Biel wurde 1977 in Kiel geboren. Ausbildung zur Theatermalerin am Theater Lübeck. Studium der Kunstgeschichte, Neueren Deutschen Literatur und Theaterwissenschaft in Berlin. Assistenzen beim Theater der Welt, am Maxim Gorki Theater und Thalia Theater, u. a. bei Stephan Kimmig. Studium der Schauspiel-Regie an der Theaterakademie Hamburg u. a. bei Nicolas Stemann, Niels-Peter Rudolph und Andreas Kriegenburg. Inszenierungen gemeinsam mit Joerg Zboralski am Theater Bremen, Theater Osnabrück, Deutsches Theater Göttingen und am Nationaltheater Mannheim. ANTON REISER ist ihre erste Arbeit am Theater Erlangen. [E]
      Joerg Zboralski wurde im Ruhrgebiet geboren. Er studierte an der staatlichen Kunstakademie Düsseldorf und war Meisterschüler von Gerhard Richter.     Seitdem regelmäßige Ausstellun-gen im In- und Ausland und Teil des Künstlerduos Janka/Zboralski-Union. 2002 Förderpreis der Stadt Düsseldorf, New York Stipendium. Theaterproduktionen bei Theater der Welt, am Schauspielhaus Bochum (mit Sybille Berg), Hebbel am Ufer Berlin, und Musikprogramm für Theaterformen 2009/10 und 2011 Staatstheater Braunschweig und Schauspiel Hannover.  [E]
      Linda Best, geboren 1976, studierte in Erlangen Theaterwissenschaften, Nordische Philologie und Germanistik. Nach dem Magisterabschluss und einigen Gastassistenzen am Theater Erlangen war sie vier Jahre lang als Regieassistentin und Regisseurin am Theaterhaus Jena engagiert, wo sie sich besonders mit neuer Dramatik, Collagen und Stückentwicklungen beschäftigte. 2008 machte sie sich selbständig, inszenierte weiterhin am Theaterhaus Jena und arbeitete als Produktionsdramaturgin kontinuierlich mit der Schweizer Gruppe Far A Day Cage zusammen. Im Duo mit der Schauspielerin Lea Schmocker zeigte sie in Erlangen unter dem Label Best&Schmocker verschiedene szenische Lesungen. Seit der Spielzeit 2011/2012 ist Linda Best als Dramaturgin am Theater Erlangen engagiert. PREMIEREN: TITUS, DIE KLEINE HEXE, WARTEN AUF GODOT, SHAKESPEARE IS DEAD - GET OVER IT!, ANGSTMÄN, ANTON REISER, GLOCKENSPIEL, 3. jet - TAGE für Kinder und Jugendliche  [E]
      Robert Naumann wurde 1985 in Halle an der Saale geboren. Er studierte an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Frankfurt am Main und arbeitete während seines Studiums als Sprecher beim Hörfunk. Sein Schauspieldebüt gab er an der Komödie Düsseldorf als Harold in HAROLD UND MAUDE mit Regina Lutz als Maude. Zuletzt spielte er am Gallustheater in Frankfurt in LIEBSCHAFTEN bei Sarah Kortmann. Seit der Spielzeit 2009.2010 ist er festes Ensemblemitglied am Theater Erlangen.  Premieren: TITUS, DIE KLEINE HEXE, WARTEN AUF GODOT, DAS VERSPRECHEN,
      ANGSTMÄN, ANTON REISER, TEXT, Wiederaufnahmen: EIN SOMMERNACHTSTRAUM, DIE GESCHICHTE VOM ONKELCHEN, MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER, FAUST. DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL [E]
      Christian Wincierz wurde 1982 in Mühlhausen/ Thüringen geboren und erhielt seine Ausbildung am Schauspielstudio Frese in Hamburg. Sein erstes Engagement führte ihn an das Ernst-Deutsch-Theater in Hamburg. Danach wechselte er 2004 an das Staatstheater Braunschweig. Er arbeitet u.a. mit Constanze Kreusch in ROMEO UND JULIA, Mario Portmann in MOBY DICK, Kay Neumann in DAS WEISSE RÖSSL und Katja Ott in SCHMACKEL BUNZ. Er gehört seit der Spielzeit 2009.2010 zum Ensemble des Theater Erlangen. Premieren: LEONCE UND LENA, DIE KLEINE HEXE, DER MANN DER DIE WELT Aß, DAS VERSPRECHEN, ANGSTMÄN, ANTON REISER, Wiederaufnahmen: EIN SOMMERNACHTSTRAUM, MUTWERK, FAUST. DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL, DER KAKTUS.  [E]
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    Eindrücke. Meine "Eindrücke" von Theateraufführungen sind zwar an manchen Stellen gelegentlich kritisch, sind aber nicht als traditionelle Theaterkritiken misszuverstehen. Hierzu bin ich gar nicht ausgebildet und habe auch zu wenig Theaterkenntnis und -erfahrung. Ich kann also die vielfältige Leistung von Dramaturgie, Regie, Musik, Bühnentechnik und Darstellung, besonders der SchauspielerInnen gar nicht angemessen bewerten. Und deshalb möchte ich mich auch mit Eindrücken begnügen. Ich verlange vom Theater nicht mehr, als dass es Interesse weckt, berührt und zur Auseinandersetzung mit der Aufführung und dem ihm zugrundliegenden Stück anregt.
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    Entwicklungsroman. W120718 führt aus: "Der Ausdruck Entwicklungsroman bezeichnet einen Romantypus, in dem die geistig-seelische Entwicklung einer Hauptfigur in ihrer Auseinandersetzung mit sich selbst und mit der Umwelt dargestellt wird. Der Entwicklungsroman schildert den Reifeprozess des Protagonisten, der seine Erlebnisse und Erfahrungen reflektierend verarbeitet und seiner Persönlichkeit einverleibt.
        Die Begriffe Bildungsroman und Erziehungsroman sowie Entwicklungsroman grenzen eng aneinander, wobei letzterer sich dadurch auszeichnet, dass aus Sicht des Lesers betrachtet nicht unbedingt eine höhere Befähigung oder Bildung als Ergebnis am Ende der Entwicklung der Hauptfigur stehen muss.
        Häufig sind es in Entwicklungsromanen negative Erfahrungen, die die Entwicklung der Persönlichkeit beeinflussen. Sie veranlassen den Romanhelden, „in sich zu gehen“, verhelfen ihm zur Erkenntnis, dass er unerreichbare Ziele verfolgt, ungerechtfertigte Ansprüche erhoben oder schwere Fehler begangen hat. Indem er dies eingesteht, schafft er sich die Möglichkeit, umzukehren und seiner Entwicklung eine andere Richtung zu geben (Desillusion) im Falle eines Bildungsromans – oder zu scheitern bzw. neutral auszugehen aus Sicht des Betrachters im Erziehungsroman oder Entwicklungsroman."
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    ertöten
    schwaches Verb - (Gefühle, Regungen o. Ä.) absterben lassen, ersticken, unterdrücken
    Zum vollständigen Artikel klicken Sie hier. [Q]
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    Herkunft: Am Beispiel der Herkunft kann z.B. geprüft werden, ob die Abbildung aus dem Roman in die Theaterversion repräsentativ und stimmig ist. Durch Vergleichen kann man sich leicht überzeugen, dass die Abbildung für die Herkunft hier repräsentativ und stimmig ist:
     
    Original Herkunft [ZO]
    Theaterversion Herkunft
    "Unter diesen Umständen wurde Anton geboren, und von ihm kann man mit Wahrheit sagen, daß er von der Wiege an unterdrückt ward. Die ersten Töne, die sein Ohr vernahm und sein aufdämmernder Verstand begriff, waren wechselseitige Flüche und Verwünschungen des unauflöslich geknüpften Ehebandes.
       Ob er gleich Vater und Mutter hatte, so war er doch in seiner frühesten Jugend schon von Vater und Mutter verlassen, denn er wußte nicht, an wen er sich anschließen, an wen er sich halten sollte, da sich beide haßten und ihm doch einer so nahe wie der andre war.  In seiner frühesten Jugend hat er nie die Liebkosungen zärtlicher Eltern geschmeckt, nie nach einer kleinen Mühe ihr belohnendes Lächeln. Wenn er in das Haus seiner Eltern trat, so trat er in ein Haus der Unzufriedenheit, des Zorns, der Tränen und der Klagen. Diese ersten Eindrücke sind nie in seinem Leben aus seiner Seele verwischt worden und haben sie oft zu einem Sammelplatze schwarzer Gedanken gemacht, die er durch keine Philosophie verdrängen konnte. Da sein Vater im Siebenjährigen Kriege mit zu Felde war, zog seine Mutter zwei Jahre lang mit ihm auf ein kleines Dorf. Hier hatte er ziemliche Freiheit und einige Entschädigung für die Leiden seiner Kindheit. Die Vorstellungen von den ersten Wiesen, die er sahe, von dem Kornfelde, das sich einen sanften Hügel hinanerstreckte und oben mit grünem Gebüsch umkränzt war, von dem blauen Berge und den einzelnen Gebüschen und Bäumen, die am Fuß desselben auf das grüne Gras ihren Schatten warfen und immer dichter und dichter wurden, je höher man hinaufstieg, mischen sich noch [16] immer unter seine angenehmsten Gedanken und machen gleichsam die Grundlage aller der täuschenden Bilder aus, die oft seine Phantasie sich vormalt. Aber wie bald waren diese beiden glücklichen Jahre entflohen! Es ward Friede, und Antons Mutter zog mit ihm in die Stadt zu ihrem Manne. Die lange Trennung von ihm verursachte ein kurzes Blendwerk ehelicher Eintracht, aber bald folgte auf die betrügliche Windstille ein desto schrecklicherer Sturm. Antons Herz zerfloß in Wehmut, wenn er einem von seinen Eltern unrecht geben sollte, und doch schien es ihm sehr oft, als wenn sein Vater, den er bloß fürchtete, mehr recht habe als seine Mutter, die er liebte. So schwankte seine junge Seele beständig zwischen Haß und Liebe, zwischen Furcht und Zutrauen zu seinen Eltern hin und her."
    "Mitten in die eheliche Zwietracht hinein wurde Anton geboren, und von ihm kann man mit Wahrheit sagen, daß er von der Wiege an unterdrückt ward. Die ersten Töne, die sein Ohr vernahm und sein aufdämmernder Verstand begriff, waren wechselseitige Flüche und Verwünschungen. Und ob er gleich Vater und Mutter hatte, so war er doch in seiner frühesten Jugend schon von Vater und Mutter verlassen,, denn er wußte nicht, an wen er sich anschließen, an wen er sich halten sollte. Diese ersten Eindrücke sind nie in seinem Leben aus seiner Seele verwischt worden und haben sie oft zu einem Sammelplatze schwarzer Gedanken gemacht. Seine junge Seele schwankte beständig zwischen Haß und Liebe, zwischen Furcht und Zutrauen zu seinen Eltern und dem Rest seiner Mitmenschen hin und her. Und so hatte er keinen, zu dem er sich gesellen konnte, keinen Gespielen seiner Kindheit, keinen Freund unter Großen noch Kleinen." 
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    Histrionsische Persönlichkeitsstörung und narzisstische Persönlichkeitsstörung.
        > Zur Problematik und allgemeine Kriterien der Konzeption von Persönlichkeitsstörungen.
    Die Abgrenzung ist nicht einfach, wie der in der Tabelle ausgeführte Bereich zeigt. Mit dem Konzept der narzisstischen Persönlichkeitsstörung wird viel Schindluder getrieben, besonders von PsychoanalytikerInnen [Kritik PA]. Die "Diagnose" narzißtische Persönlichkeitsstörung wird im (blauen) Diagnose ICD-10 nicht eigens aufgeführt, aber im (grünen) ICD-10 der Forschungskriterien im Anhang I, S. 208 (und auch im DSM-IV, der amerikanischen Klassifikation psychischer Störungen) , von dem die Kriterien offenbar übernommen wurden.
     
    Histrionsische Persönlichkeitsstörung  narzisstische Persönlichkeitsstörung 
    Im ICD-10 wird ausgeführt:
    "F60.4 histrionische Persönlichkeitsstörung
      Persönlichkeitsstörung mit folgenden Merkmalen:
      1. Dramatisierung bezüglich der eigenen Person, theatralisches Verhalten, übertriebener Ausdruck von Gefühlen.
      2. Suggestibilität, leichte Beeinflußbarkeit durch andere.
      3. oberflächliche und labile Affektivität.
      4. Egozentrik, Selbstbezogenheit und fehlende Bezugnahme auf andere.
      5. dauerndes Verlangen nach Anerkennung, erhöhte Kränkbarkeit
      6. Verlangen nach aufregender Spannung und nach Aktivitäten, in denen die betreffende Person im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht.
      7. andauernd manipulatives Verhalten zur Befriedigung eigener Bedürfnisse.
    Dazugehörige Begriffe:
      infantile Persönlichkeit(sstörung)
      hysterische Persönlichkeit(sstörung)"

    Zur "Normalbedeutung" der histrionsischen "hysteroiden") Charakterstruktur im Sinne Fritz Riemann siehe bitte hier. 

      "Narzißtische Persönlichkeitsstörung
      A. Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt sein.
      B. Mindestens fünf der folgenden Merkmale:
      1. Größengefühl in Bezug auf die eigene Bedeutung (z. B. die Betroffenen übertreiben ihre Leistungen und Talente, erwarten ohne entsprechende Leistungen als bedeutend angesehen zu werden)
      2. Beschäftigung mit Phantasien über unbegrenzten Erfolg, Macht, Scharfsinn, Schönheit oder idealer Liebe
      3. Überzeugung, «besonders» und einmalig zu sein und nur von anderen besonderen Menschen oder solchen mit hohen Status (oder von entsprechenden Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen zusammen sein zu können
      4. Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung
      5. Anspruchshaltung; unbegründete Erwartung besonders günstiger Behandlung oder automatische Erfüllung der Erwartungen
      6. Ausnutzung von zwischenmenschlichen Beziehungen, Vorteilsnahme gegenüber anderen, um eigene Ziele zu erreichen
      7. Mangel an Empathie; Ablehnung, Gefühle und Bedürfnisse anderer anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren
      8. häufiger Neid auf andere oder  Überzeugung, andere seien neidisch auf die Betroffenen

      9. arrogante, hochmütige Verhaltensweisen und Attitüden."
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    I did it my way
    Harald Juhnke: https://www.youtube.com/watch?v=FxqPb2f5KGQ.
    Übersetzung: https://www.magistrix.de/lyrics/Frank%20Sinatra/My-Way-Uebersetzung-111405.html
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    Introspektion. Im Beiheft zur Inszenierung hat das Theater Erlangen interessante Informationen zu Karl-Philipps Moritz mitgeteilt, so z.B.:
     
    DAS SELBST ALS GEGENSTAND DER BEOBACHTUNG. 
    "Man redet von Zufriedenheit und Glückseligkeit immer im Allgemeinen, und so selten davon, wie wir in den einzelnen Augenblicken unsres Lebens vergnügt und glücklich seyn könnten. Es ist vielleicht noch eine schwer zu beantwortende Frage: ob und wie wir immer glücklich und zufrieden seyn können und sollen? Oft wiederholte Beobachtungen über uns selbst würden uns hier noch am besten zu statten kommen.
        Den ganzen Tag über ist in der Seele eine beständige Ebbe und Fluth, sie mag auch so unmerklich seyn, wie sie wolle. Keiner unsrer Augenblicke ist dem ändern völlig gleich. Aber wer bemerkt das? Wer nimmt sich Zeit die Geschichte seiner Gedanken zu beschreiben, und sich selber zum Gegenstande seiner Beobachtungen zu machen?
    Wer das thun will, muß sich gleichsam in Gedanken von sich absondern, und sein Schicksahl wie das Schicksahl eines Fremden betrachten. Wer Beobachtungen über sich selber zum Besten andrer Menschen anstellen will, muß die Zeit über, da er es thut, von allen Leidenschaften frei sein, übrigens aber starke Leidenschaften haben, weil sonst die Geschichte seiner Gedancken und seiner Empfindungen nicht so nützlich seyn wird. Er muß also die Kunst lernen, in manchen Augenblicken seines Lebens sich plötzlich aus dem Wirbel seiner Begierden herauszuziehen, um eine Zeitlang den kalten Beobachter zu spielen, ohne sich im mindesten für sich selber zu interessieren.
       Auf die Art könnte einer die Geschichte seiner Augenblicke, zum Nutzen der Menschheit, beschreiben, und wenn er nach und nach das Besondre wegließe, was ihn auszeichnet, so könnte er zuletzt einen allgemeinen Grundriß finden, worauf sich die Glückseligkeit eines jeden, wie ein Gebäude errichten ließe, daß übrigens in tausenderlei Betracht von den ändern unterschieden seyn könnte, nur daß es einerlei Grundlage mit ihnen hätte. (...)
        Es scheint aber mit einer widrigen Idee bei ändern Menschen verbunden zu seyn, Beobachtungen über sich selber anzustellen; und man kann den Gedanken nicht gut vermeiden, daß man seiner eignen Person eine zu große Wichtigkeit beilegt, indem man gerade selber der Gegenstand dieser Beobachtungen seyn will. -Aber kann es denn ein anderer seyn? Können wir in die Seele eines ändern blicken, wie in die uns-rige? und opfern wir uns nicht beinahe eben so auf, wenn wir, ändern zum Besten, den Zustand unsrer Seele zergliedern, wie derjenige, der ändern Menschen, nach seinem Tode, durch die Zergliederung seines Körpers nützlich wird."
    Anmerkungen zum Introspektionsproblem in der IP-GIPT:
    • Das sog. Bewußtseins- und Introspektionsproblem in der Psychologie und die grundlegenden Fehlleistungen der Verhaltenstherapie.
    • Überblick Psychologie des Bewußtseins.
    • Allgemeine und Integrative Introspektions-Übung.
    • Modell der Bewusstseinsinhalte und ihrer Filter. * Auch hierim Denken, speziel: Aporie.
    • William James: Der Strom des Bewusstseins.
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    Karl Philipp Moritz und die Liebe
    Insgesamt sind die Informationen, die zu dem Thema vorliegen, mehr als spärlich:
        "5. August Moritz heiratet die fünfzehnjährige Tochter des Buchhändlers Carl Friedrich Matzdorff (und Schwester des Verlegers Carl August Matzdorff), Christiane Friederike.
    Dezember Moritz und seine Frau werden nach einer aufsehenerregenden Entführung der Frau durch Johann Christian Siede geschieden. 27. April Moritz verheiratet sich wieder mit der gerade von ihm geschiedenen Christiane Friederike." [Quelle]
        In der Rowohlt Monographie von Willi Winkler heißt es im letzten dünnen Kaptel "Glück, Ehestand und Tod" (123-130): "Klischnig heiratet, und auch Moritz will sich jetzt verehelichen. Es ist ja am Ende eine wahre Schande, wenn ich allein ein Hagestolz  EN337 bliebe!, zitiert ihn sein treuer Freund Klischnig wie in einem Iffland'schen Lustspiel. Gewiss hatte Moritz bisher auch der chronische Geldmangel von einer Heirat abgehalten, (doch er fühlt sich sichtlich wohler in Gesellschaft von Männern. ... " (S. 123)
        "Christiane Friederike Matzdorff, mit der ich seit wenigen Wochen verlobt bin, und in kurzem auf immer verbunden seyn werde, ist, wenn überhaupt, erst sechzehn Jahre alt, als Moritz sie am 5. August 1792 heiratet und eine neue Kette des Unglücks und der Demütigungen einleitet, die letzte. Stolz führt er sie bei Frau Herz ein, nimmt dann aber die Salonniere beiseite und sagt: Nicht wahr, ich habe da [...] einen sehr dummen Streich gemacht? EN342
        Die Theatromanie hat er keineswegs ganz abgelegt, und als Schauspieler seines eigenen Lebens ist er die Idealbesetzung. Moritz hat ein Talent für Sonderbarkeiten. Ein Freund besucht ihn, um ihm seine Aufwartung zu machen, wird aber gebeten, sich noch ein wenig zu gedulden; der Herr Professor wolle ihm ein schönes Gemälde zeigen. Erst nach einer Viertelstunde darf der Besuch näher treten und wird vom Diener in eine vom Sonnenuntergang beglänzte Weinlaube geführt, in der sich Moritz kunstgerecht inszeniert: «Er selbst und seine junge Frau saßen, in ein [>125] weißes Neglige' gekleidet, an einem runden Tische, und hatten einige Teller voll Obst, Weintrauben, Pflaumen, Feigen, Pfirsichen, nebst einem Blumentopfe mit violetten Astern vor sich. <Halt! rief er mir in noch einiger Entfernung zu, bleiben Sie stehen.> Hierauf schlang er den rechten Arm um den Nacken seiner Frau, hielt mit dem linken ihr Angesicht, und gab ihr einen Kuß. - <Wie macht sich das? fragte er mich hierauf. <Finden Sie das Gemälde nicht Geßnerisch? - Sehen Sie, Freund! Hier unter dieser Weinlaube genieße ich das Glück der Liebe. - Das ist nun ein schöner Moment, in welchem Sie uns hier finden. Der kommt nicht wieder! - So hätte uns ein Künstler sehen und malen sollen. - Da geht die Sonne unter, und taucht den schönen Moment ins Meer.» EN343 ...
        ... Denn das liederliche Weib, es brennt ihm nur Wochen nach der Hochzeit durch und, um den Schmerz voll zu machen, auch noch mit einem Konkurrenten, mit einem anderen Autor, dessen bisherige Werke sich so seltsam komplementär, gleichzeitig so vulgär an Moritz' Leben anlehnen, dass sie hier lieber in der Fußnote versteckt bleiben. EN345 Dem umlaufenden Klatsch zufolge soll Moritz den beiden nachgereist sein und den Liebhaber mit gezogener Pistole zur Herausgabe seiner Ehefrau gezwungen haben. Das ist bei Moritz' schwächlicher Konstitution eher unwahrscheinlich, entspräche aber den Umgangsformen in den zeitgenössischen und vom Kritiker Moritz heftig bekämpften Theaterstücken. ... Das junge Paar wiederum kümmert sich nicht um das allgemeine Gespött und findet wundersamerweise wieder zusammen. Nach der Scheidung beantragen die Eheleute einen königlichen Dispens und bitten, nachdem die Ursachen unserer Mishelligkeiten gehoben sind347, um die Erlaubnis zur Wiederverheiratung. Gemeinsam unternehmen sie noch eine Kunstfahrt nach Dresden, wo Moritz zum Besten der gelehrten Welt die Gemäldegalerie studieren will. Todkrank kehrt er zurück nach Berlin." (S. 128)
        Anmerkung zur Quellenangabe EN343: im ersten Bd. bei GB findet sich kein Eintrag, vermutlich ist die Information aus dem 2. Bd.: Jördens, Karl Heinrich (1812). Denkwürdigkeiten, Charakterzüge und Anekdoten aus dem Leben der vorzüglichsten deutschen Dichter und Prosaisten / Herausgegeben von Karl Heinrich Jördens. - Zweiter Band. - Leipzig: Kummer.
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    Problematik und allgemeine Kriterien der Konzeption von Persönlichkeitsstörungen.
    Zur Problematik der Konzeption und den Therapiemöglichkeiten von Persönlichkeitsstörungen finden Sie hier [Fiedler1, Fiedler2, Fiedler3] eine ausführliche Auseinandersetzung, u.a. auch die rabiate Kritik von Karl Jaspers: "... Einen Psychopathen durch die 'Diagnose' eines Typus festzulegen, ist gewaltsam und immer falsch. Menschlich aber bedeutet die Klassifikation und Festlegung des Wesens eines Menschen eine Erledigung, die bei näherer {>366}Besinnung beleidigend ist und die Kommunikation abbricht. Das darf in aller erleuchtenden Begrifflichkeit charakterologischer Menschenauffassung nie vergessen werden." [Kritik zu Fiedlers Zitierstil in dieser wichtigen Frage: F05]. Lit: Jaspers, Karl (1948). Allgemeine Psychopathologie, 5.A.. Berlin: Springer. Eine nicht minder fundamentale Kritik am Konzept der Persönlichkeitsstörung wird von dem Verhaltenstherapeuten Hans Lieb - "Persönlichkeitsstörung" Zur Kritik eines widersinnigen Konzeptes - formuliert. [F26]
        In den Leitlinien (Abruf 14.9.11) wird ausgeführt:
    "I. Die charakteristischen und dauerhaften inneren Erfahrungs- und Verhaltensmuster der Be-troffenen weichen insgesamt deutlich von kulturell erwarteten und akzeptierten Vorgaben ("Normen") ab. Diese Abweichung äußert sich in mehr als einem der folgenden Bereiche:
    • Kognition (d. h. Wahrnehmung und Interpretation von Dingen, Menschen und Ereignissen; Einstellungen und Vorstellungen von sich und anderen)
    • Affektivität (Variationsbreite, Intensität und Angemessenheit der emotionalen Ansprechbarkeit und Reaktion)
    • Impulskontrolle und Bedürfnisbefriedigung
    • Die Art des Umgangs mit anderen und die Handhabung zwischenmenschlicher Beziehungen
    II. Die Abweichung ist so ausgeprägt, dass das daraus resultierende Verhalten in vielen persönlichen und sozialen Situationen unflexibel, unangepasst oder auch auf andere Weise unzweckmäßig ist (nicht begrenzt auf einen speziellen "triggernden Stimulus" oder eine bestimmte Situation).
    III. Persönlicher Leidensdruck, nachteiliger Einfluss auf die soziale Umwelt oder beides sind deutlich dem unter II) beschriebenen Verhalten zuzuschreiben.
    IV. Nachweis, dass die Abweichung stabil, von langer Dauer ist und im späten Kindesalter oder der Adoleszenz begonnen hat.
    V. Die Abweichung kann nicht durch das Vorliegen oder die Folge einer anderen psychischen Störung des Erwachsenenalters erklärt werden, es können aber episodische oder chronische Zustandsbilder der Kapitel F00 bis F07 neben dieser Störung existieren oder sie überlagern.
    VI. Eine organische Erkrankung, Verletzung oder deutliche Funktionsstörung des Gehirns müssen als mögliche Ursache für die Abweichung ausgeschlossen werden (falls eine solche Verursachung nachweisbar ist, soll die Kategorie F07 verwendet werden). ..."
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    Pubertät aus Sicht von Psychologen, Psychopathologen und Pädagogen.
      Lexikon der Psychologe: "Pubertät, üblicherweise als sog. "Reifezeit" zwischen Kindheit und eigentlichem Jugendalter (d.h. Adoleszenz) bezeichnet (Jugendpsychologie). Der lateinische Ursprung – pubescere: "Wachstum der Schamhaare" – weist auf die biologischen Veränderungen hin, die den Eintritt in die Reifezeit markieren. Von diesem biologischen Begriff unterscheidet sich ein Pubertätskonzept, das mit dem soziokulturellen Wandlungsprozess des Jugendlichen einhergeht und als "kulturelle Pubertät" die Diskussionen um die "gestreckte Pubertät" schürte: Lebenszeitlich verlängertes Jugendstadium (Bernfeld) – worunter die Jugend einer Partei, einer Kunstbewegung, der Revolution usf. zu verstehen war – wurde dem von Lazarsfeld so bezeichneten Konzept der "verkürzten Pubertät" des Proletariers gegenübergestellt.
      Auftreten, Wachstum und geschlechtsspezifische bzw. -typische Akzentuierung der sekundären Geschlechtsmerkmale bestimmen die weibliche und männliche Erscheinungsform Jugendlicher. Die sekundären Geschlechtsmerkmale stehen – im Gegensatz zu den primären – nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Fortpflanzung, wohl aber in einem mittelbaren (z.B. Brustwachstum). Die Entwicklung der Reproduktionsorgane, z.B. Ovarien und Testes, die endokrinologischen Veränderungen, die Veränderung des Fettanteils zu Muskelgewebe, die wachsende Belastbarkeit von Atmungs- und Blutkreislauf zusammen mit den sich nach und nach ausbildenden sekundären Geschlechtsmerkmalen und das – verglichen mit der Kindheit – überproportionale Wachstum machen die Pubertät aus (Abb. 1).
      Speziell der erste Längenwachstumsschub wird zusammen mit seinen Disproportionen als Vorpubertät zum Signal der eigentlichen biologischen Reifung. Das in der schematischen Abb. 2 dargestellte Zusammenhangsmuster von Hormonen und ihren Eingriffsorganen gibt keine erklärenden Hinweise auf die "innere Uhr", die beispielsweise den Zeitpunkt der Menarche auszulösen in der Lage ist. Auch dürfte die Produktion der Sexualhormone nicht geschlechtsspezifisch, sondern geschlechtstypisch sein. Typisch sind Merkmale, "die überwiegend, aber nicht ausschließlich, bei einem Geschlecht gefunden werden". Das sog. endokrine Geschlecht resultiert aus dem relativen Überwiegen der Androgen- resp. Östrogenproduktion."

      In Orter & Montada (Entwicklungspsychologie, 4. A.1998) kommt der Eintrag "Pubertät" nach dem Sachregister auf 1295 Seiten nicht vor. Das Thema wird dort unter im Kapitel 6 "Jugendalter" abgehandelt, darin auch ausführlich auch das Thema Identität im Jugendalter.

      In Harbauer, Lempp, Nissen & Strunk (Kinder- und Jugendpsychiatrie, 3. A. 1976) gibt es viele Einträge im Sachregister. "Puberträtskrisen und Störungen der psychosexuellen Entwicklung" nehmen ein ganzes Kapitel (174-225) ein.

      Auch Stone & Chruch widmen dem Thema in ihren zwei Bänden "Kindheit und Jugend" (1978) mehrere Kapitel. U.a. führen sie aus (Bd.2, S. 277):
          "Die Sexualität des Jugendlichen
      Ein großer Teil der Selbst-Bewußtheit des Jugendlichen betrifft die voranschreitende sexuelle Entwicklung, die mit der nahenden biologischen Reife einhergeht. Für viele Jugendliche stellt sich die ganze Welt als libidinös, sexualisiert dar, so daß die harmlosesten Gegenstände und Kreignisse eine erotische Bedeutung annehmen. Um mit FREUD zu sprechen, bedeutet die Pubeszenz das Ende der Latenz und den Beginn der erwachsenen Genitalität. Die Psychoanalytiker sehen die Aufgabe dieser Altersstufe in der Bewältigung (der Hemmung, Beherrschung lind Ausrichtung) der Sexualität und in der Entwicklung der Fähigkeit, sie in den Dienst einer reifen Liebe zu stellen, sowie in der Sublimierung der überschüssigen sexuellen Energien in produktive Arbeit. Wie FREUD sagt, wird in jedem Tätigkeitsbereich das Verhalten durch die Sexualität beeinflußt und übt seinerseits einen Einfluß auf diese aus. Auch wenn Wir FREUDS These nicht akzeptieren, wonach die Libido Grundlage konstruktiven Handelns ist, müssen wir dennoch zugeben, daß sie, insbesondere im Verhalten des Jugendlichen, immer gegenwärtig und von Wichtigkeit ist. ..."


    Literatur zur Pubertät und Adoleszenz

    • Bell, Ruth (1993 f, Hrsg.). Wie wir werden. Was wir fühlen. Ein Handbuch für Jugendliche über Körper, Sexualität, Beziehungen. Reinbek: Rowohlt.
    • Dolto, Francoise & Dolto-Tolitch, Catherine (1989). Von den Schwierigkeiten, erwachsen zu werden. Stuttgart: Klett-Cotta.
    • Meyers Lexikonredaktion (1997). Schülerduden Sexualität. Ein Sachlexikon für Schule, Ausbildung und Beruf. Die Vielfältigkeit der Sexualität. Wissen und Orientierungshilfe rund ums Thema. Mannheim: BI.
    • Nitsch. Cornelia; Beil, Brigitte & Schelling, Cornelia von (1995). Pubetrtät. Kein Grund zur Panik. Ein Buch für Töchter, Söhne, Mütter und Väter. München: Mosaik.

    • Spranger, Eduard (1963, 27.A.). Psychologie des Jgendalters. Heidelberg: Quelle & Meyer.
    • Oerter, Rolf & Dreher, Eva (1998). Jugendalter. In (310-395): Entwicklungspsychologie. Weinheim: Beltz/ PVU.

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      Zum Identitätsproblem in der Pubertät (Adoleszenz)
       
      "Für Jugendliche

      Erst mit Beginn der Pubertät stellt sich die Frage: Wer bin ich überhaupt?

      Die eigene Identität:Wie findet man sie?
      Mit Einsatz der Pubertät beginnt die Suche nach der eigenen Identität, also nach einer eigenständigen, unverwechselbaren Persönlichkeit. Und zuvor? Da empfindet sich ein Kind meist selbstverständlich als Teil der Familie und identifiziert sich mit ihr. Aus dieser Zugehörigkeit bezieht es seine Sicherheit und sein Selbstvertrauen, und bloß das Bild, das die Eltern von ihm haben, ist prägend: Wird es als »brav«, »wild«, »begabt«, »sportlich« oder »unsportlich« charakterisiert, dann schätzt es sich weitgehend selbst so ein. Auch das Urteil der Lehrer über seine Leistungen und sein Sozialverhalten bestimmt sein Gefühl für sich selbst. Doch je älter ein Kind wird, desto wichtiger werden für sein Selbstbewußtsein die Beziehungen zu gleichaltrigen Freunden — sie sind es, die einen Großteil der Schützenhilfe bei der Suche nach einer eigenen Identität leisten.

      Voraussetzung für eine feste Identität: sowohl Eigenständigkeit als auch Anpassungsbereitschaft

      Aber was bedeutet Identität überhaupt? Eine eindeutige Definition ist kaum möglich, da der Begriff zu vielschichtig ist. Doch fraglos besitzt man dann eine gefestigte persönliche Identität, wenn man sich im Einklang erlebt, sowohl mit sich selbst als auch mit der Umwelt: Voraussetzung dafür ist einerseits das Erlangen von Individualität, also von Eigenständigkeit und persönlicher Willensfreiheit -deswegen ist die Verselbständigung während der Pubertät so wichtig —, andererseits die Fähigkeit, als soziales Wesen zu handeln und sich in eine Gemeinschaft zu integrieren. Dieser Lernprozeß setzt natürlich schon in der Kindheit ein, doch in der Pubertät wird er, durch die Ablösung von der Familie, zur Herausforderung. Da mit Beginn dieser Lebensphase Eltern und andere Erwachsene ernsthaft in Frage gestellt werden, gerät das kindliche Selbstverständnis ins Wanken — worauf soll der Teenager seine Identität jetzt gründen? Nun, da er beginnt, sich mit anderen Augen zu sehen als bisher, sein Körper und seine Ansichten sich schnell verändern, tauchen auf einmal existentielle Fragen auf: Wer bin ich überhaupt? Wie sehe ich mich selbst, wie ... .... "
       

      Aus Nitsch et al. (1995), S. 98-99

      Für Eltern
      Teenager probieren immer wieder neue Rollen aus, bevor sie zu sich selbst finden

      Eltern verfolgen verblüfft - mal fasziniert, mal besorgt -, wie viele Verwandlungen ihr Teenager im Laufe der Pubertät durchmacht: Da wird die freche, selbstbewußte Tochter zu einem säuselnden, willenlosen Geschöpf um dem angebeteten Freund zu gefallen, der selbstbewußte Sohn, der sich zu Hause von niemandem mehr etwas sagen läßt, tut alles, was die starken Burschen seiner Clique fordern. Oder aus dem gepflegten, modebewußten Youngster wird plötzlich ein ausgeflippter Typ im Punk-Look; kaum haben sich die Eltern damit abgefunden, verkriecht er sich in seine vier Wände und liest nur noch anspruchsvolle Literatur Und aus dem übermütigen und unbeschwerten Töchterchen wird in der Pubertät ein ernstes, zurückgezogenes Mädchen, denn nun, da sie sich von einem Wildfang in eine junge Frau verwandeln soll, weiß sie überhaupt nicht mehr weiter. Verunsichert fragen sich die Eltern: »Was ist mit unserem Kind bloß los? Wann kommt es endlich wieder zur Vernunft?« Was anders ausgedrückt bedeutet: Wann findet es zu einer gefestigten Identität?
      Schwierigkeiten bei der Identitätsfindung sind nicht außergewöhnlich und können die unterschiedlichsten Ursachen haben. Zu den häufigsten Auslösern gehören:

      • die radikale Veränderung der vertrauten Umgebung. Ein Umzug oder ein Schulwechsel in einer Phase, in der sich der Jugendlice ohnehin unsicher und verloren fühlt, kann seine innere »Heimatlosigkeit« noch verstärken. Er braucht Zeit und den Halt der Erwachsenen, um die Ereignisse in seine Persönlichkeit  und sein Leben zu integrieren, um also wieder »zu sich zu komrnen«.
      Identitätskrisen werden durch die unterschiedlichsten Umstände ausgelöst
      • Spannungen in der Familie. Scheinbar unlösbare Konflikte, also eine »Identitätskrise« im Elternhaus bringt Teenager leicht aus dem Lot. Vor allem, wenn die Eltern sich absolut nicht mehr verstehen oder sogar dabei sind, sich zu trennen, und jeweils  versuchen, das Kind auf ihre Seite zu ziehen, weiß es gar nicht mehr, wo es selbst steht. In einen Konflikt hineingezogen, der ... .... " 
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    Pyromanie, pyromanisch. Lust an Feuern, Bränden, Zündeln.
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    Vorreden:
      Vorrede Erster Teil. "Dieser psychologische Roman könnte auch allenfalls eine Biographie genannt werden, weil die Beobachtungen größtenteils aus dem wirklichen Leben genommen sind. – Wer den Lauf der menschlichen Dinge kennt und weiß, wie dasjenige oft im Fortgange des Lebens sehr wichtig werden kann, was anfänglich klein und unbedeutend schien, der wird sich an die anscheinende Geringfügigkeit mancher Umstände, die hier erzählt werden, nicht stoßen. Auch wird man in einem Buche, welches vorzüglich die innere Geschichte des Menschen schildern soll, keine große Mannigfaltigkeit der Charaktere erwarten: denn es soll die vorstellende Kraft nicht verteilen, sondern sie zusammendrängen und den Blick der Seele in sich selber schärfen. – Freilich ist dies nun keine so leichte Sache, daß gerade jeder Versuch darin glücken muß – aber wenigstens wird doch vorzüglich in pädagogischer Rücksicht das Bestreben nie ganz unnütz sein, die Aufmerksamkeit des Menschen mehr auf den Menschen selbst zu heften und ihm sein individuelles Dasein wichtiger zu machen." [PG1]
      Vorrede Zweiter Teil. "Um fernern schiefen Urteilen, wie schon einige über dies Buch gefällt sind, vorzubeugen, sehe ich mich genötigt, zu erklären, daß dasjenige, was ich aus Ursachen, die ich für leicht zu erraten hielt, einen psychologischen Roman genannt habe, im eigentlichsten Verstande Biographie und zwar eine so wahre und getreue Darstellung eines Menschenlebens bis auf seine kleinste Nüancen ist, als es vielleicht nur irgendeine geben kann.
          Wem nun an einer solchen getreuen Darstellung etwas gelegen ist, der wird sich an das anfänglich Unbedeutende und unwichtig Scheinende nicht stoßen, sondern in Erwägung ziehen, daß dies künstlich verflochtne Gewebe eines Menschenlebens aus einer unendlichen Menge von Kleinigkeiten besteht, die alle in dieser Verflechtung äußerst wichtig werden, so unbedeutend sie an sich scheinen.
          Wer auf sein vergangnes Leben aufmerksam wird, der glaubt zuerst oft nichts als Zwecklosigkeit, abgerißne Fäden, Verwirrung, Nacht und Dunkelheit zu sehen; je mehr sich aber sein Blick darauf heftet, desto mehr verschwindet die Dunkelheit, die Zwecklosigkeit verliert sich allmählich, die abgerißnen Fäden knüpfen sich wieder an, das Untereinandergeworfene und Verwirrte ordnet sich – und das Mißtönende löset sich unvermerkt in Harmonie und Wohlklang auf. " [ZO2]
      Vorrede Dritter  Teil."Mit dem Schluß dieses Teils heben sich Anton Reisers Wanderungen und mit ihnen der eigentliche Roman seines Lebens an. Das in diesem Teil Enthaltne ist eine getreue Darstellung der Szenen seiner Jünglingsjahre, welche andern, denen diese unschätzbare Zeit noch nicht entschlüpft ist, vielleicht zur Lehre und Warnung dienen kann. Vielleicht enthält auch diese Darstellung manche nicht ganz unnütze Winke für Lehrer und Erzieher, woher sie Veranlassung nehmen könnten, in der Behandlung mancher ihrer Zöglinge behutsamer und in ihrem Urteil über dieselben gerechter und billiger zu sein!" [ZO3]
      Vorrede Vierter  Teil. "Dieser vierte Teil von Anton Reisers Lebensgeschichte handelt so wie die vorigen eigentlich die wichtige Frage ab, inwiefern ein junger Mensch sich selber seinen Beruf zu wählen imstande sei.
          Er enthält eine getreue Darstellung von den mancherlei Arten von Selbsttäuschungen, wozu ein mißverstandener Trieb zur Poesie und Schauspielkunst den Unerfahrnen verleitet hat.
          Dieser Teil enthält auch einige vielleicht nicht unnütze und nicht unbedeutende Winke für Lehrer und Erzieher sowohl als für junge Leute, die ernsthaft genug sind, um sich selbst zu prüfen, durch welche Merkzeichen vorzüglich der falsche Kunsttrieb von dem wahren sich unterscheidet.
          Man sieht aus dieser Geschichte, daß ein mißverstandener Kunsttrieb, der bloß die Neigung ohne den Beruf voraussetzt, ebenso mächtig werden und eben die Erscheinungen hervorbringen kann, welche bei dem wirklichen Kunstgenie sich äußern, welches auch das Äußerste erduldet und alles aufopfert, um nur seinen Endzweck zu erreichen.
          Aus den vorigen Teilen dieser Geschichte erhellet deutlich: daß Reisers unwiderstehliche Leidenschaft für das Theater eigentlich ein Resultat seines Lebens und seiner Schicksale war, wodurch er von Kindheit auf aus der wirklichen Welt verdrängt wurde und, da ihm diese einmal auf das bitterste verleidet war, mehr in Phantasien als in der Wirklichkeit lebte – das Theater als die eigentliche Phantasiewelt sollte ihm also ein Zufluchtsort gegen alle diese Widerwärtigkeiten und Bedrückungen sein. – Hier allein glaubte er freier zu atmen und sich gleichsam in seinem Elemente zu befinden.
          Und doch hatte er hiebei ein gewisses Gefühl von den reellen Dingen in der Welt, die ihn umgaben, und worauf er auch ungern ganz Verzicht tun wollte, da er doch einmal so gut wie die andern Menschen Leben und Dasein fühlte.
          Dies machte, daß er mit sich selbst im immerwährenden Kampfe war. Er dachte nicht leichtsinnig genug, um ganz den Eingebungen seiner Phantasie zu folgen und dabei mit sich selber zufrieden zu sein; und wiederum hatte er nicht Festigkeit genug, um irgendeinen reellen Plan, der sich mit [332] seiner schwärmerischen Vorstellungsart durchkreuzte, standhaft zu verfolgen.
          Eigentlich kämpften in ihm so wie in tausend Seelen die Wahrheit mit dem Blendwerk, der Traum mit der Wirklichkeit, und es blieb unentschieden, welches von beiden obsiegen würde, woraus sich die sonderbaren Seelenzustände, in die er geriet, zur Genüge erklären lassen.
          Widerspruch von außen und von innen war bis dahin sein ganzes Leben. –
          Es kömmt darauf an, wie diese Widersprücke sich lösen werden!" [ZO4]
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    Werkorientierte Interpretation ist eine natürliche Idee, die sich viele KünstlerInnen auch wünschen, woran sich aber viele InterpretInnen nicht halten. Bei der werkorientierten Interpretation wird bewusst auf Rückgriffe auf andere Werke und die Biographie der KünstlerIn verzichtet.
        Jede Kritik ist eine Bewertung und verlangt daher, streng betrachtet, ein Bewertungsverfahren, das im allgemeinen aber unbekannt ist. So haftet der Kritik nicht selten etwas Willkürlich-Zufälliges und Subjektiv-Persönliches an. Daher besteht seit jeher ein spannungsvolles Verhältnis zwischen KünstlerIn und KritikerIn. Häufig spielen auch ganz profane - wenn auch selten zugegebene - Fragen eine Rolle: wie viel Platz steht für die Kritik zur Verfügung, wie schnell muss sie geschrieben sein, wie hoch ist das Honorar, was erwartet der Finanzier, die Redaktion, die LeserIn? Ist die KünstlerIn berühmt, hat sie Einfluss? Versteht, schätzt oder mag man sie?
        Die von uns bevorzugten 4 Grundsätze und Regeln werkorientierter Interpretation sind: (1) Inhaltsangabe, Hintergrund, Zeit- und Rahmenbedingungen und Verlauf der Handlung. (2) Leitmotive und Hauptthemen des Werkes. (3) Ausdrucksmittel: Sprache, Stil, Erwähnen und weg lassen, Dramaturgie und Spannung. (4) Besondere Analyse spezieller Themen. (5) Werkorientierte Wirkung und Interpretation der LeserInnen (Hierzu bringt W ein interessantes Zitat von Marcel Proust: "„In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst nicht hätte erschauen können. Dass der Leser das, was das Buch aussagt, in sich selber erkennt, ist der Beweis für die Wahrheit eben dieses Buches und umgekehrt.“  – Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 7: Die wiedergefundene Zeit".)
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    Querverweise
    Standort: Anton Reiser.
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    Theater in der IP-GIPT.
    Überblick Kunst, Ästhetik, Psychologie und Psychopathologie der Kunst in der IP-GIPT.
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    Biographie und Psychopathographie. * Überblick Psychodiagnostik in der IP-GIPT.
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Anton Reiser Nach Karl Philipp Moritz in einer Bearbeitung von Mirja Biel / Joerg Zboralski. Eindrücke von der Inszenierung am 16.7.2012 im Theater Garage. Aus unserer Abteilung Kunst, Ästhetik, Psychologie der Kunst. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/kunst/theater/AReiser/AntReis.htm
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    01.08.12    * Literatur zur Pubertät und Adoleszenz * Zum Identitätsproblem in der Pubertät (Adoleszenz) *