Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPTDAS=29.12.2022 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung: 10.09.23
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20 D-91052 Erlangen
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    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Allgemeine Psychologie, Bereich Erleben, und hier speziell zum Thema:

    Erleben und Erlebnis bei Karl Bühler (1879-1963)
    Denkpsychologie (1907) - Buch Krise der Psychologie (1927)  - Sprachtheorie (1934)

    Originalrecherche von Rudolf Sponsel, Erlangen

    Zur  Methode der Fundstellen-Textanalyse  * Hauptbedeutungen Erleben und Erlebnis  * Zusammenfassung *



    Editorial
    Karl Bühler gilt als bedeutender Erlebnis Psychologe noch der Blütezeit der deutschen Psychologie und war sehr um die Einheit der Psychologie und die Überwindung der Schulen bemüht, wie besonders sein Werk Die Krise der Psychologie (1927) zeigt. Aber Bühler hat den Erlebensbegriff und die Aufgabe der Erlebenspsychologie grundlegend nicht verstanden.



    Gesamtzusammenfassung Karl Bühler 1904, 1907, 1927 und 1934
    Zusammenfassung-Analyse-komplizierter Denkvorgänge:
     
    • Zusammenfassung-Komplizierte-Denkvorgänge-B1904: Die dreieinhalb-Seiten Arbeit beginnt mit der verheißungsvollen Frage: "Was erleben wir, wenn wir denken?", die Bühler allerdings nicht beantwortet. Er gebraucht erleben 1x, erlebt 1x, Erlebnis 8x davon Denkerlebnis 4x, aber  Bühler erklärt nicht, was er unter Erleben oder denken erleben versteht, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis. Bühler1904 hat den Erlebensbegriff grundlegend nicht verstanden, wie die 10 dokumentierten Fundstellen (hier durchnumeriert von 1-10, Index vor dem Suchwort) belegen.
    • Zusammenfassung-Denkvorgänge-1907: Bühler definiert, erklärt, erörtert die Begriffe erleben und Erlebnis nicht, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis. Ich ziehe daraus den Schluss, dass Bühler erleben und Erlebnis für allgemeinverständliche und nicht weiter erläuterungsbedürftige Grundbegriffe erachtet. Aber die Arbeit bringt viele konkrete und dokumentierte Beispiele für Denkerlebnisse, die von bleibendem denkpsychologischen und historischen Wert sind.
    • Zusammenfassung Erleben in Krise der Psychologie: "erleben" wird im Text 52x erwähnt. Weder im Inhaltsverzeichnis noch im Sachregister wird ein Eintrag "erleben" geführt. Ich habe die ersten 13 Erwähnungen im Text von S. 17 bis Seite 84 erfasst und dokumentiert. Nirgendwo wird erleben erklärt oder näher ausgeführt, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis, so dass ich davon ausgehe, dass Karl Bühler erleben für einen nicht weiter erklärungs- oder begründungspflichtigen, sondern für einen allgemeinverständlichen Grundbegriff hält.
    • Zusammenfassung Erlebnis in Krise der Psychologie 1927: "Erlebnis" wird 160x erwähnt. 4x im Inhaltsverzeichnis, 13x im Sachregister und 160x im gesamten Text. In den 29 dokumentierten Fundstellen S.2-29 wird der Begriff Erlebnis nicht erklärt oder näher charakterisiert, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis. Ich gehe daher davon aus, dass Karl Bühler den Begriff nicht für erklärungs- oder begründungsbedürftig hält und als allgemeinverständlichen Grundbegriff gebraucht.
    • Zusammenfassung Erleben in der Sprachtheorie 1934: Erleben wird 5x erwähnt (insgesamt 9x mit 4 Pseudos). In keiner der 5 Textstellen (S. 41, 53f, 68f, 135, 374f)  wird erleben erklärt, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis.
    • Zusammenfassung Erlebnis in der Sprachtheorie 1934: Suchen nach "Erlebnis" ergibt insgesamt 68 Fundstellen. Eine geht auf das Geleitwort von Kainz, die zweite auf das Inhaltsverzeichnis, verbleiben noch 66. Ich habe die ersten 10 Fundstellen ab Seite 8 bis Seite 126 erfasst und bei keiner eine Erklärung oder nähere Ausführung zu Erlebnis gefunden. Auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis. Ich gehe daher davon aus, dass Bühler den Begriff in seiner Sprachtheorie von 1934 für nicht erklärungs- oder begründungsbedürftig, sondern für allgemeinverständlich hält. Ich habe dann aufgehört weiter zu suchen und zu dokumentieren, weil ich davon ausgehe, was in den ersten 10 Erwähnungen der ersten 118 Seiten nicht erklärt wird,  wie es nach den Grundregeln für wichtigere Begriffe, eigentlich sein sollte, auch wahrscheinlich später nicht mehr erklärt.




    Denkerleben1904: Was erleben wir, wenn wir denken?
    Bühler, Karl (1904) Eine Analyse komplizierter Denkvorgänge. In (263-266) 1904 BERICHT über den I. Kongreß für experimentelle Psychologie in Würzburg vom 18. bis 21. April 1904. Leipzig: Barth (1907).

    Zusammenfassung-Denkerleben-1904
    Z-Fazit-B1904: Die dreieinhalb-Seiten Arbeit beginnt mit der verheißungsvollen Frage: "Was erleben wir, wenn wir denken?", die Bühler allerdings nicht beantwortet. Er gebraucht erleben 1x, erlebt 1x, Erlebnis 8x davon Denkerlebnis 4x, aber  Bühler erklärt nicht, was er unter Erleben oder denken erleben versteht, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis. Bühler1906 hat den Erlebensbegriff grundlegend nicht verstanden.
    Z1-Bestandstücke Denkerlebnis, S. 264: "...: Welches sind die Bestandstücke der beschriebenen Denkerlebnisse? Antwort: Vorstellungen [I13] aller Art, aller Sinnnesgebiete, Sach- und Wortvorstellungen, aber außer ihnen viel häufiger, reicher und mannigfaltiger andere Gebilde, die am häufigsten als Gedanken [I07] oder in Anlehnung an Marbe und Ach als Bewußtseinslagen oder Bewußtheiten, auch als Wissen oder Überzeugung bezeichnet wurden"

    Alle 10 Fundstellen "erleb" in Bühler1906
    263f: Was erleben wir, wenn wir denken
    "Was 1erleben wir, wenn wir denken? Das ist offenbar die nächstliegende und allgemeinster, freilich darum auch inhaltärmste Enge, die sich eine psychologische Untersuchung der Denkvorgänge stellen kann. Sie weist unmittelbar auf eine einfache Analyse unserer 2Denkerlebnisse hin. Der Vortragende hat sich als ersten Teil einer umfangreicheren Untersuchung eine solche Analyse als Ziel gesetzt und hier eine Skizze seiner Resultate zu bieten versucht Als Material seiner Aufstellungen dienten ihm Analysen, die ihm geübte Psychologen von ihren eigenen 3Denkerlebnissen geboten hatten. Es ist die seit langer Zeit schon im Wüzburger psychologischen Institut geübte Methode der Selbstbeobachtung an experimentell erzeugten 4Erlebnissen, die er sich für seine Zwecke ausgebaut hat Weil er zu der Überzeugung gekommen war, daß man geübten Denkern keine Kinderaufgaben geben darf, wenn man ein wirkiches Denken erhalten will, und daß die kompliztierteren Denkvorgänge einer Analyee leichter zugänglich sind als die ganz einfachen, hat er seinen Versuchspessonen schwierigere Denksaufgaben vorgelegt· Er fragte sie z. B.: verstehen Sie? oder: ist es richtig? und las ihnen dann einen Aphorismus vor; nach der Antwort ja oder nein ließ er sich unmittelbar zu Protokoll geben, was sie über ihre 5Erlebnisse von der Auffassung des 6Erlebten bis zu dem ja oder nein angeben konnten. Eine mannigfattige Variation der Denkaufgaben war naheliegend und einfach durchzuführen. [>264]
        Eine Orientieungg in der bunten Mannigfattigkeit dieser Protokolle wird zunächst zu der ohne Kommentar verständlichen Frage führen: Welches sind die Bestandstücke der beschriebenen 7Denkerlebnisse? Antwort: Vorstellungen aller Art, aller Sinnnesgebiete, Sach- und Wortvosstellungen, aber außer ihnen viel häufiger, reicher und mannigfaltiger andere Gebilde, die am häufigsten als Gedanken oder in Anlehnung an Marbe und Ach als Bewußtseinslagen oder Bewußtheiten, auch als Wissen oder Überzeugung bezeichnet wurden. Es zeigt sich daß man Vorstellungen und Gedanken im allgemeinen ganz sicher auseinander zu halten vermag. Nun fragt es sich was beide für unser Denken leisten. Der Vortragende kommt zu der Behauptung: Vorstellungen sind keine notwendigen Bestandstücke unserer 8Denkerlebnisse (Vorstellungen stets in dem Sinn der Versuchspersonen als sinnliche Vorstellungen gefaßt), und gründet diese Behauptung indirekt auf die Tatsache der handgreiflchen Inadäquatheit zwischen dem Gedankengehalt und dem was vorgestellt wird, und direkt auf die Tatsache des absolut vorstellungslosen, rein unanschaulichen Denkens, d. h. eines Denkens in 9Erlebnissen die sich in keinem Teile durch die Bestimmtheiten sinnlicher Qualitäten oder Ingnsltäten charakteriseeren lassen, insbesondere auch keine Spur irgend einer Wortvorstellung enthalten. Die Vorstellungen können also keine wesentliche Bedeutung für unser Denken haben, sondern dürfen nur als Stützen, Hilfen, Fixierungspunkte der Gedanken angesehen werden. Die eigentlichen Bestandstücke des Denkens sind nur die Gedanken.
       Nun erhebt sich natürlich gebieterisch die Frage: was sind denn diese Gedanken? Man wird, besonders wenn man an eine genetische Betrachtungsweiee der psychischen Gebilde gewöhnt ist, zunächst an eine Art verdichteter oder sublimierter Vorstellungen denken. Oder man wird geneigt sein, das aus anderen Tatsache erschlossene unbewußt Psychische auch hier zu verwerten und zur Erklärung des unanschaulichen Denkens etwa „erregte Dispositionen“ zu Vorstellungen oder „aufgeschlossne Assoziationsbahnen“, Vorstellungsrmöglichkeiten oder die „Gewißheit der Vorstellungsmöglichkeiten oder wie sonst die Formulierungen desselben Gedankens lauten mögen, heranzuziehen.
       Beide Erklärunrvgrssuhge glaubt der Vortragende als unzureichend ablehnen zu müssen. Die Annahme der „erregten Dispositionen“ ist gewiß gut begründet und die Versuche, auf die sich seine Ausführungen stützen, bieten selbst ein reiches Material zu [>265] ihrer weiteren Ausgestaltung. Aber diese Dispositionen sind eben als Unbewußtes nicht das Bewußte des Gedankens und wenn wir auf sie allein angewiesen wären, ständen wir im Falle des auch wortlosen Gedankens vor der Gleichung: der bewußte, klare und deutliche Gedanke == einer Summe von unbewußten Dispositionen, oder etwas psychisch Wirkliches == einer Summe von psychischen Möglichkeiten. Auch gegen die Verdichtuggsannahme lassen sich aus der einfachen Analyse unserer 10Denkerlebnisse gewichtige Bedenken gewinnen: die realen Bestimmthetten des Gedankens fallen in keiner Weise zusammen mit denen der sinnlichen VorsteHungen. Ein Gedanke kann nicht charaktertetert werden durch Qualität, Intensität u. s. w. wie die Vorstellungen, auch wenn er noch so klar und deutlich in uns gegenwärtig ist und gerade dann am wenigsten, und ob eine noch so gründtiche „psychische Chemie“ diese Eigenschaftskluft wird überbrücken können, dürfte doch zum mindesten recht fraglich sein.
       ..."
    Ende Bühler 1904



    Zusammenfassung-Bühler-Denkvorgänge-1907
    Bühler, Karl (1907) Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. Über Gedanken. Archiv für die gesamte Psychologie, 9, 297-365.
    Fazit: Bühler definiert, erklärt, erörtert die Begriffe erleben und Erlebnis nicht, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis. Ich ziehe daraus den Schluss, dass Bühler erleben und Erlebnis für allgemeinverständliche und nicht weiter erläuterungsbedürftige Grundbegriffe erachtet. Aber die Arbeit bringt viele konkrete und dokumentierte Beispiele für Denkerlebnisse, die von bleibendem denkpsychologischen und historischen Wert sind.

    Fundstellen: erleb 178, erleben 22, erlebt 22, Erlebnis... 134
    Schauen wir uns die Fundstellen "erleben" an, regen 4 und 5 zu einer näheren Betrachtung an:
     

      Fundstelle (4) 29: "... Mit diesen Versuchen sind wir, wie ich glaube, den
      Verhältnissen der außerexperimentellen Wirklichkeit, dem was wir täglich bei unserer
      wissenschaftlichen Denkarbeit erleben, recht nahe gekommen. ..."


    Fundstelle (4), S. 29 gibt nichts her - außer, dass erleben nicht definiert, erklärt, erörtert oder sonstwie näher ausgeführt wird, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis, so dass bis herher angenommen werden muss, dass Bühler erleben für allgemeinverständlich und nicht weiter erklärungsbedürftig hält.

       
      Fundstelle (5) 34: "    Wir gliedern die Einzelversuche auch nicht erst nach den Versuchsarten sondern betrachten
      sie gleich alle zusammen unter dem Gesichtspunkt unserer allgemeinen Frage. Die Aufgabe, die wir
      uns zunächst hier stellen, ist eine rein deskriptive. Was erleben wir unter den geschilderten
      Versuchsbedingungen?
          Sehen wir uns gleich einmal das Protokoll eines gut gelungenen Versuches an:
      K. A13617 . – Ja (13''). – »Es kam mir zunächst das  Oxymoron  deutlich zum Bewußtsein. Dann hatte ich den
      Gedanken an zukünftige Bedeutung und damit fiel mit ein, daß ein Satz da war, der das vorher und nachher
      betonte, mehr nicht. Jetzt konstruiere ich ihn mit ganz. (Daß man keine Feinde hat, wenn man weit genug voraus
      oder zurück ist.) – Es ist merkwürdig, daß mir jetzt erst der Unterschied der beiden Gedanken auffällt, erst hab'
      ich nur das Gemeinsame gefunden.«

      D. A13. – Ja (3''). – (Keine Suppe ist teurer, als die man umsonst ißt.) – »Erst verstand ich den Sinn des
      Satzes, dann hatte ich einen Gedanken, der allgemeiner war und den ich ungefähr so wiedergeben kann: es gibt
      scheinbare Vorteile, die durch größere Nachteile aufgewogen werden. Daran sofort ein Wiederkommen des
      vorhin Gehabten, ein Ähnlichkeitsbewußtsein, etwa wie wenn ich sagen würde: so ähnlich war der Gedanke [46]
      vorhin da (aber ganz ohne Worte). Beim Aussprechen kommt mir der Satz fremder vor, als ich erst vermeint
      hatte. – [ Wie erfolgte von dem Wiedererkennen aus der Abstieg?]: »Erst wußt' ich, daß es vorhin konkreter war,
      dann kamen mir die Begriffe 'Suppe' und 'teuer' (mit den Worten) und dann sprach ich das Ganze aus.«

          Was finden wir da? Die Vp. beschäftigt sich mit dem vorgelegten Gedanken, sucht ihn zu
      verstehen. Da »fällt« ihr, wie sie ein Moment des Gedankens näher ins Auge faßt oder sich den
      tiefer liegenden Sinn des Satzes in einem allgemeineren Gedanken zum Bewußtsein bringt, etwas
      von einem früheren Gedanken »ein«. Sie wendet sich diesem früheren zu, sucht sich ihn zu
      ergänzen, und die Worte, die ihn ausdrückten, wiederzugeben. Es sind drei Dinge, die uns an diesem
      Vorgang interessieren. Wann, d. i. im A n s c h l u ß  a n  w e l c h e s  g e g e n w ä r t i g e
      E r l e b n i s s t ü c k  f ä l l t  d a s  F r ü h e r e  e i n  o d e r  t r i t t  j e n e  B e z i e h u n g  a u f  d a s  F r ü h e r e
      e i n?  W a s  i s t  d i e s e  B e z i e h u n g  a u f  d a s  F r ü h e r e  o d e r  v o r h e r, w a s  e r l e b t  d i e  Vp.
      i n  i h r? U n d  w i e  w e i t  u n d  w i e  g e l i n g t  e s  i h r  a n z u g e b e n,  w i e  d i e s e s  F r ü h e r e
      l a u t e t e? Im Mittelpunkt steht natürlich die Beziehung selbst (wir wählen absichtlich diesen
      unbestimmten Terminus, um nichts mit dem Worte zu  präsumieren). In oder mit ihr gewinnt ja
      offenbar das Frühere einen bestimmenden Einfluß auf das gegenwärtige Erleben. Wir könnten sie,
      insofern sie auch selbst erlebt wird, als Rückbeziehung bezeichnen und müßten dann noch einen
      Terminus für den realen Einfluß des Früheren auf das gegenwärtige Erleben als solchen prägen. Zur
      Vermeidung solcher neuen Ausdrücke für bekannte Dinge wollen wir indes lieber das Wort
      Erinnerung vorerst in etwas weitem und unbestimmteren Sinne als pars pro toto gebrauchen. Die [>35]
      nähere Bestimmung wird sich später von selbst ergeben. An was sich die Beziehung anschließt, das
      ist das Ausgangserlebnis der Erinnerung oder das Ausgangsmoment und in Hinsicht auf die
      Beziehung, die in der Erinnerung liegt und die ja zwischen zwei Gliedern stattfindet, das
      Ausgangsglied der Erinnerung (gegenüber dem Zielglied), vom Standpunkt einer dynamischen
      Analyse aus könnte es als Erinnerungsmotiv bezeichnet werden. Was sich an dies primäre
      Erinnerungserlebnis anschließt, ist vielerlei und läßt sich nicht leicht unter einen einzigen Begriff
      bringen. Es steht wohl unter einem einzigen Gesichtspunkt, es kann nämlich als Hilfsmittel oder als
      Weg zu der Wiedergabe des früheren Satzes be-[47]trachtet werden, aber das charakterisiert ja die
      Erlebnisse nicht als psychische Inhalte. In Beziehung auf das primäre Erinnerungserlebnis könnte
      man von einer Ausgestaltung der Erinnerung sprechen. Nehmen wir, um nur ein Wort zu
      haben, einmal diesen Ausdruck für den ganzen dritten Komplex von Vorgängen."


    Fundstelle (5) 34 beschreibt zwar ein konkretes Denkerlebnis und erfasst es in einem Denkerlebnisprotokoll, aber erleben wird auch hier nicht definiert, erklärt oder erörtert, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis, so dass bis hierher angenommen werden muss, dass Bühler erleben für allgemeinverständlich und nicht weiter erklärungsbedürftig hält.
     

    Inhaltsverzeichnis
    II. Über Gedankenzusammenhänge 6

      § 1. Über zwischengedankliche, bewußte Beziehungen 6
      § 2. Über das Auffassen von Gedanken (das Verstehen von Sätzen) 12
    III. Über Gedankenerinnerungen 20
        Einleitung 20
      § 1. Die Versuche 21
        1) Die Gedankenpaarung (P) 21
        2) Die Ergänzungsversuche (E) .23
        3) Die Analogieversuche (A) 26
        4) Die Stichwortversuche (St) 30
        5) Versuchspersonen und Versuchanzahl 32
      § 2. Beschreibung der Erinnerungserlebnisse 34
        1) Das Ausgangserlebnis der Erinnerung .36
        2) Erinnerung und Reproduktion (Iteration) 44
        3) Die Ausgestaltung der Erinnerung (das Finden der Sätze) 52
    Anhang 64
        Versuchstexte zu III. Über Gedankenerinnerungen 64



    Fundstellenkürzel

    erleben 22

    erlebt 22

    Erlebnis... 134



    Buch Krise der Psychologie (1927)  Kürzel B1927

    Fundstellen in B1927: erleben 52, erlebt(e,n) 13, Erlebnis 160.

    In der 2. unveränderten Auflage von 1929 schreibt er in seinem Vorwort, wobei in den vier Axiomen in I, II und IV Erlebnis erwähnt wird :
     

      "Der Text ist unverändert geblieben, ich möchte zwei Hinweise und eine neue Formulierung hier im Vorwort unterbringen.
      Eine Fortbildung der Theorie des Kinderspieles, die im Mittelpunkt meiner Kritik der Psychoanalyse steht, ist in dem Buche C h. Bühlers „Kindheit und Jugend" 1928 zu finden; das ist das eine. Die Fruchtbarkeit der Dreiaspektenlehre hat sich bewährt in einer „Theorie der tierischen und menschlichen Handlung", an der ich arbeite; das ist das andere. Die neue Formel erfaßt den Gehalt der klassischen Assoziationstheorie. Es sind, kurz gesagt, die folgenden vier Axiome, um die es geht bei der Auseinandersetzung der neueren Richtungen in der Psychologie mit jener (systematisch nie zu Ende gedachten) Lehre, die mit Locke und Hume anhob und um 1890 kulminierte:
      I. Das subjektivistische Axiom: Der einzige legitime Ausgang der Psychologie ist die Selbstbeobachtung; ihr Gegenstand
      sind die Erlebnisse.
      II. Das atomistische Axiom: Die Analyse der Erlebnisse findet fest umschriebene elementare Bewußtseinsinhalte; die sogenannten verwickelten oder höheren Phänomene sind Komplexionen aus ihnen.
      III. Das sensualistische Axiom: Genetisch originäre Inhalte sind nur die Sinnesdaten mit Einschluß der ‚elementaren' Gefühle.
      IV. Das mechanistische Axiom: Die Bildung der Komplexionen und der Erlebnisverlauf unterstehen dem Kontiguitätsgesetz, dem Assoziationsprinzip; es gibt Simultan- und Sukzessionsverkittungen. Gegen das eine oder andere dieser Axiome wendet sich jede von den neuen Richtungen; die Denkpsychologie z. B. speziell gegen III und IV; die Gestaltpsychologie gegen II und IV; der Behaviorismus gegen I; die geisteswissenschaftliche Psychologie mehr oder weniger gegen alle, speziell aber gegen I und IV.
      Wien, im Februar 1929.
      Karl Bühler."


    Fundstellen in B1927: erleben 52
    _
    Erleben in B1927

    Zusamenfassung Erleben in B1927 : erleben wird im Text 52x erwähnt. Weden im Inhaltsverzeichnis noch im Sachregister wird ein Eintrag "erleben" geführt. Ich habe die ersten 13 Erwähnungen im Text von S. 17 bis Seite 84 erfasst und dokumentiert. Nirgendwo wird erleben erklärt noder näher ausgeführt, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis, so dass ich davon ausgehe, dass Karl Bühler erleben für einen nicht weiter erklärungs- oder begründungspflichtigen, sondern für einen allfemeinverständlichen Grundbegriff hält.

    Erleben im Text B1927:

    1.     17: "... Die Psychologie war seit Descartes und Locke gedacht als die Wissenschaft von den Erlebnissen, als eine Theorie dessen, was der sogenannten inneren Wahrnehmung, der Selbstbeobachtung, zugänglich ist. Jeder hat sein eigenes Ich und sein Gesichtsfeld der inneren Wahrnehmung, in das ihm kein Nachbar unmittelbar hineinschauen kann. So war die Psychologie ihrem  Ausgangsgegenstand nach eine solipsistisch aufgebaute Wissenschaft. Mit dem ABC der Psychologie haben wir modernen Europäer diese Überzeugung von der Prärogative der inneren Wahrnehmung in uns aufgenommen. „Um die Psychologie scharf zu definieren, müssen wir ausgehen von einer ganz grundsätzlicheh Feststellung, auf welcher alle Philosophie (und alle Wissenschaft) ruht, nämlich von der Feststellung les unauflösbaren schlicht hinzunehmenden Ur -Sachverhaltes: Ich habe bewußt etwas, oder  kurz: ich weiß etwas, und zwar, indem ich zugleich weiß, daß ich weiß — scio me scire (Augustinus)"1). An diesem Ausgang  wird nichts geändert, wenn man beim Ausbau der Wissenschaft Hypothesen über die Seelensubstanz wie Descartes oder über das Unbewußte wie Freud einführt. Nichts geändert an dem solipsistischen Ausgang, wenn man nachträglich vom Ich zum Du und zu Annahmen über fremdes Erleben und fremdseelisches Geschehen fortschreitet."
    2.     51f: "... Wir wollen uns zu diesem Zwecke die Vorgänge, welche sich in der Bienenseele abspielen mögen, so weitgehend menschlich, so weitgehend nach Analogie unseres eigenen Sprach-[>52]erlebens vorstellen, als es die Tatsachen irgend zulassen. ..."
    3.     65f: "Es gibt Steuerungen [> 66] auch an toten Systemen, man kann ihr Vorhandensein und ihre Richtpunkte, auch ohne von vornherein bestimmte Annahmen über den Steuermann zu treffen, bestimmen. ... Und nichts hindert, diesen Begriff in gleicher Weise vom Benehmen und vom Erleben zu gebrauchen. Vielleicht ist der Gegenstand der Psychologie einigermaßen exakt durch diesen Begriff zu charakterisieren. ..."
    4.     70: "So sei denn versucht, dieselbe Harmonie der Theoretiker auch für die Kehrseite der Medaille anzubahnen. Spranger

    5. schlägt eine Basis vor: „Wäre die Biopsychologie und ihre Erweiterung zur Entwicklungspsychologie schon weiter ausgestaltet,
      als es heute, besonders in Deutschland, der Fall ist, so würde die Differenz zwischen naturwissenschaftlicher und  geisteswissenschaftlicher Psychologie im definierten Sinne weniger auffallend sein als jetzt, wo bisweilen der Übergang von der Sinnespsychologie etwa zur Psychologie des ästhetischen Erlebens und Verhaltens beinahe sprunghaft erfolgt. ..."
    6.     73-1: "... Offenbar besteht hier ein ziemlich weiter Spielraum. Ich kann das Gebilde erleben rein als l'neare Gestalt; dann kommt es psychologisch auch nur auf das bedeutungsfreie Sehen an (von mir gesperrt): auf .die subjektive

    7. Verschiebung, Größe, Helligkeit, Deutlichkeit oder Undeutlichkeit des Bilderlebnisses. ..."
    8.     73-2: "... Ich kann aber, ohne dabei zu verweilen, es sofort erleben mit der Bedeutung: Buchstabe H oder, wenn ich im griechischen Geisteszusammenhang lebe, mit der anderen: Buchstabe Eta.  ..."
    9.     81f: "...Was wir in unseren eigenen Wahrnehmungen z. B. als Konstanz der Sehdinge im Beleuchtungswechsel oder als Größenkonstanz der Sehdinge im Entfernungswechsel vorfinden, ist nach allem, was wir darüber wissen, keine [>82] auf das menschliche Erleben eingeschränkte, vom Menschen neu erworbene, Verfassung, sondern ein Gemeinbesitz zum mindesten

    10. des ganzen Wirbeltierstammes.
    11.     83-1: "Hier aber nehmen wir unseren Ausgang von der Grundtatsache des seelischen Kontaktes und suchen erst einmal das, was im seelischen Kontakt an Möglichkeiten des Verstehens angelegt ist, begrifflich scharf zu erfassen. Max Scheler, der bahnbrechende Denker auf diesem Gebiet, hat die kühne These von einer Art Wahrnehmbarkeit des fremden Erlebens im seelischen Kontakte aufgestellt und Widerspruch gefunden. Das ist der gegenwärtige Stand der Diskussion1). ..."

    12.     83-2: "... Ich will zeigen, daß Scheler im wesentlichen recht hat; wir können seine These so interpretieren, daß die Paradoxie verschwindet und eine Erkenntnisart des Fremdseelischen zum Vorschein kommt, für die der Ausdruck „Wahrnehmung" durchaus gebräuchlich ist. Faktum ist, daß im seelischen Kontakte eine gegenseitige Steuerung des Benehmens und des Erlebens der Partner stattfindet. ..."
    13.     83-3: "... Daß das Benehmen gesteuert wird, ist eine Feststellung der Außenansicht, des behavioristischen Aspektes; daß das Erleben gesteuert wird, wissen wir aus eigener innerer Erfahrung und nehmen es darüber hinaus auch von anderen Menschen und von Tieren an, deren Benehmen wir in Kontaktsituationen gesteuert sehen. Genau betrachtet ergibt sich, daß eine Koppelung der beiden Aspekte, ein Ineinandergreifen, bereits im Ausgangstatbestande vorliegt und unaufhebbar ist. ... "
    14.    84-1: "Der Sachverhalt im ganzen ist jedem aus dem seelischen Verkehr mit anderen Menschen bekannt und geläufig. Man steht im Kontakt mit dem Partner der Situation und versteht sein Benehmen; fast so im günstigsten Fall, als wäre er gar nicht ein anderer, sondern „als wärs ein Stück von mir", wie es im Liede vom guten Kameraden heißt. Man vermeint aber nicht nur das sinnlich wahrnehmbare Benehmen, sondern darin, daraus, dahinter, oder wie sonst man sich ausdrücken mag, die Beseeltheit (oder im besonderen Fall auch einmal die Unbeseeltheit) des fremden Benehmens und sogar das Erleben des anderen mehr oder minder unmittelbar zu erfassen. ..."
    15.     84-2: "... Der solipsistische Aspekt der Psychologie, der diesen Tatbestand programmgemäß nur in dem Einerkoordinatensystem der ichhaften Ereignisse zu beschreiben und zu begreifen versucht, macht irgendwie aus zwei eins. Die naive Bestimmung dagegen kennt mein und dein, ob sie vom Benehmen oder Erleben spricht. ..."
    16.     84-3: "... Die solipsistische Theorie nimmt in ihrem ersten Ansatz entweder das fremde Erleben in das Ich herüber oder läßt umgekehrt das Ichhafte, wie wenn es irgendwie entfremdet wäre, in der Sphäre des Partners stattfinden. Man versetzt sich selbst, so wird uns im Sinne der zweiten Formel gesagt, fiktiv in die Lage des anderen, um ihn zu verstehen. Das Bild müßte für viele Fälle noch intimer sein; bald in die Haut, will sagen in die Sinne, bald in die Muskeln, will sagen in den Bewegungsapparat, bald ins Erlebniszentrum des andern versuche man sich mit mehr oder minder gutem Erfolge zu versetzen und nehme dann mit ihm wahr, bewege mit ihm seine Glieder, spreche, entscheide sich, handle aus dem besetzten Erlebniszentrum heraus. ..."
    17.     84-4: "... Umgekehrt, im Sinne der ersten Formel, bestimmt die Aktivität und Führereigenschaft des anderen unser eigenes Erleben, unsere primär ichhaften Erlebnisse derart, daß wir an ihnen abzulesen vermögen, wie es dem Partner zumute ist. ..."

    18.  


    Erleben-Pseudos in B1927 :
    45: Tierleben
     

    Erlebnis in B1927 Inhaltsverzeichnis - Sachregister - Text

    Zusamenfassung Erlebnis in B1927: "Erlebnis" wird 160x erwähnt. 4x im Inhaltsverzeichnis, 13x im Sachregister und 160x im gesamten Text. In den 29 dokumentierten Fundstellen S.2-29 wird der Begriff Erlebnis nicht erklärt oder näher charaktersiert, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis. Ich gehe daher davon aus, dass Karl Bühler den Begriff nicht für erklärungs- oder begründungsbedürftig hält und als allgemeinverständlichen Grundbegriff gebraucht.
     

    Erlebnis im Inhaltsverzeichnis B1927:

    • 3. Das alte Programm der Erlebnispsychologie 17.
    • § 4. Der Erlebnisaspekt in der Sprachtheorie  30
    • Ernst- und Scheinerlebnisse, Vergleich mit dem Schauspieler 98.
    • Kindheitserlebnisse und Charakter, Stufen und Phasen in der Sexualentwicklung 174.


    Erlebnis im Sachregister B1927:

      Erlebnis 28f.
      Erlebnisaspekt
        Ich und Du im E. 100.
        - in d. Sprachtheorie 30 ff.
        Notwendigkeit des E. 60, 67.
        - u. Verstehen 101.
      Erlebnispsychologie 17, 27.
        Einseitigkeit der E. 64.
        solipsistischer Ausgangspunkt der E. 17.
        - u. Behaviorismus 22.
        - u. Denkpsychologie 13.
        - u. Semantik 50.


    Erlebnis im Text B1927:

    1.     2: "§ 1. Der Impressionismus und die klassische Assoziationspsychologie um 1890. Merkwürdig, wie manchmal Überkommenes und Neues sich mischt, um eine Einheit zustande zu bringen. Hume und
    2. Herbart waren da, aber es bedurfte eines zeitbedingten Grunderlebnisses bei E. Mach , um eine Physik und Psychologie um-[>3]schließende Weltanschauung aus dem alten Gedankengut neu erstehen zu lassen. ...  "
    3.     3: Machs philosophisches Grunderlebnis:  "„Ich habe es stets als ein besonderes Glück empfunden, daß mir sehr früh (in einem Alter von 15 Jahren etwa) in der Bibliothek meines Vaters Kants „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik" in die Hand fielen. Diese Schrift hat damals einen gewaltigen, unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht, den ich in gleicher Weise bei späterer philosophischer Lektüre nie mehr gefühlt habe. Etwa 2 oder 3 Jahre später empfand ich plötzlich die müßige Rolle, welche das »Ding an sich« spielt. An einem heißen Sommertage im Freien erschien mir einmal die Welt samt meinem Ich als eine zusammenhängende Masse von Empfindungen, nur im Ich stärker zusammenhängend. Obgleich die eigentliche Reflexion sich erst später hinzugesellte, so ist doch dieser Moment für meine ganze Anschauung bestimmend geworden. Übrigens habe ich noch einen langen und harten Kampf gekämpft, bevor ich imstande war, die gewonnene Ansicht auch in meinem Spezialgebiete festzuhalten." (A. d. E. 6. Aufl. S. 24 Anm. Die Auszeichnung von mir. Das geschilderte philosophische Grunderlebnis Machs fällt in das Jahr 1855 oder 1856.)"
    4.     9: "... Zwei  Psychologien nebeneinander, die eine als die Lehre vorn sinnerfüllten Leben und die andere als die Lehre von den an sich sinnlosen Erlebnismaterialien — das wäre in der Tat eine reichlich unbrüderliche Teilung gewesen und keiner der beiden „Wissenschaften"  auf die Dauer gut bekommen.  ..."
    5.     12: "... Denkpsychologie und Psychoanalyse — ihre Methoden sind sehr verschieden. Dort wird der größte Wert auf Protokolle, auf eine sorgfältige Festlegung des Erlebnistatbestandes, von dem man ausgeht, gelegt; hier ist alles zugerichtet auf Indizienbeweise, auf ein mehr oder minder scharfsinniges Detektivverfahren. Nun, jedes an seinem Platze.  ..."
    6.     13: "... Gleichviel, wie man heute über viele Einzelheiten denken mag, jenes Programm verlangte klar und zwingend eine bestimmte Umstellung der Interessen der Erlebnispsychologie. ..."
    7.     14-1: "... Ich will hier nicht beschreiben, wie und in welchem Ausmaß das Programm in der neuen Psychologie des Willens und des Denkens verwirklicht worden ist; jedenfalls war mit ihm das einfache Schema der klassischen Assoziationstheorie durchbrochen und ein neuer Horizont für die Wissenschaft von den Erlebnissen erschlossen."
    8.     14-2: "Im letzten Grund geht die Intention auf den Sinn der Erlebnisse und führt zu teleologischen Bestimmungen, wenn man es unternimmt, „das seelische Leben und Weben in sich selbst zu erfassen, die qualitativen Unterschiede im psychischen Verhalten, in der Art und Weise, wie der seelische Organismus arbeitet" (Stumpf), zu begreifen."
    9.     14-3: "Dessen war sich die Denkpsychologie von Anfang an klar bewußt; in meiner ersten Arbeit 1907 z. B. steht ausdrücklich der Satz vom teleologischen Charakter der Denkerlebnisse. Wenn es also je eine rein „mechanistische", d. h. sinnfreie Theorie des Seelenlebens gab, so war die Abwendung von ihr bereits vor zwei Dezennien vollzogen."
    10.     14-4: "Die derart gestellte Sinnfrage aber führt konsequent erstens zu neuen Aufgaben der deskriptiven Bestimmung  der Erlebnisse und zweitens zu spezifisch teleologischen Verlaufsgesetzen des seelischen Geschehens. Wie vage und formelhaft waren doch die seit Lockes und Humes Zeiten überlieferten deskriptiven Grundbegriffe „Wahrnehmung", „Vorstellung", „Gefühl" usw. in der Assoziationstheorie stehen geblieben!"
    11.     14-5: "Wenn die neue Beschreibung das empfindungsmäßige Bild von dem gedanklichen Gehalt einer Vorstellung unterschied, so konnte sie sich dabei vor allem auf die an der Sprache klar erkennbare und nie verkannte Zweiheit von Klangbild und Wortbedeutung stützen; diese Analogie und das an ihr abzulesende komplexe Verhältnis von Zeichen und Bedeutung ist in den mannigfachsten Modifikationen an allen sinnhaften Erlebnissen wiederzufinden. Ich werde es im zweiten Abschnitt in den Mittelpunkt der Betrachtung stellen und darum hier nicht weiter behandeln."
    12.     14f: "... Störring und Lindworsky, auf die weit ausholenden Untersuchungen über Gestalten und die Relationswahrnehmung nur kurz verwiesen. Anderes, z. B. das weite Gebiet der Affekte und das zentrale [>15] Denkerlebnis des Urteils, harrt noch einer gleich intensiven Bearbeitung.
    13.     15: "... Aber nicht nur die mehr oder minder scharf abgrenzbaren einzelnen Erlebnisse, die man in Klassen ordnen kann, sondern auch ihr Ablauf , ihr Kommen und Verschwinden in geschlossenen Reihen und Verbänden, ist sinnerfüllt und sinnbestimmt in einer Art, der die Assoziationstheorie mit ihren Mitteln nicht gerecht werden konnte."
    14.     17: "3. Machen wir uns klar, daß von all dem der Aufbau und die alten Ringmauern der Psychologie nicht angetastet werden. Die Psychologie war seit Descartes und Locke gedacht als die Wissenschaft von den Erlebnissen, als eine Theorie dessen, was der sogenannten inneren Wahrnehmung, der Selbstbeobachtung, zugänglich ist. Jeder hat sein eigenes Ich und sein Gesichtsfeld der inneren Wahrnehmung, in das ihm kein Nachbar unmittelbar hineinschauen kann. So war die Psychologie ihrem Ausgangsgegenstand nach eine solipsistisch aufgebaute Wissenschaft."
    15.     18 (§ 3. Der Behaviorismus und die geisteswissenschaftliche Psychologie): "... Für die Amerikaner bedeutet es vielleicht einen Wendepunkt in ihrer kurzen Wissenschaftsgeschichte, daß sie sich von der Erlebnispsychologie weg dem englischen Einfluß erschlossen und das hier Empfangene in großem Stile auszubauen begonnen haben. Der Behaviorismus ist im Augenblick mehr als irgend etwas anderes ihre Angelegenheit und wird, wenn ich recht sehe, in bestimmten Grenzen auch unsere werden müssen."
    16.     19: "Merkwürdig genug und doch nicht unbegreiflich ist der Sachverhalt, daß das biologisch Erste im Menschen, das, was uns mit den Tieren gemeinsam ist, und das Sublimste, das, was uns zu Bürgern macht im Reiche des Sittlichen nicht nur, sondern auch in dem des Wahren, Schönen und aller anderen Werte, daß beides aus dem Erlebnisaspekt allein nicht verstanden werden kann."
    17.     22-1: "... Der Behaviorismus schiebt die alte Erlebnispsychologie beiseite und erhebt den Anspruch, etwas Vollkommeneres an ihrer Stelle zu errichten, eine Wissenschaft vom Benehmen, von den objektiv zu bestimmenden Verhaltungsweisen der Tiere und Menschen. ..."
    18.     22-2: "... Es ist gewiß kein Zufall, daß uns diese Wendung ins Teleologische genau so aus dem Schoße des Behaviorismus wie aus der Erlebnispsychologie entgegentritt. ..."
    19.     22-3: "... Im Namen dieses einigenden Prinzips wird die Synthese der beiden divergierenden Forschungsrichtungen vollzogen werden müssen. Und genauer besehen, ist sie tatsächlich schon vorbereitet, denn der Grundbegriff der psychischen Operationen bleibt nicht unübertragbar auf die Sphäre der Erlebnispsychologie eingeschränkt."
    20.     23-1,2 (Dilthey): "... Beim „Verstehen" und dem Strukturbegriff (§ 10) werden wir ihm wieder begegnen; wer aus einem seiner vollendetsten Bücher, aus „Erlebnis und Dichtung" den Begriff des (schöpferischen) Erlebnisses zum Ausgang wählt, findet Ideen darin, die noch kaum ausgeschöpft, geschweige denn überholt sind1). Von all dem sei hier abgesehen, um eine andere Leitlinie zu verfolgen, die, wie mir scheint, den spezifischen Gehalt und Charakter des geisteswissenschaftlichen Aspekts der Psychologie reiner und vollständiger als sonst etwas zu definieren vermag."
    21.     23-2 (Fußnote): "1) Vgl. dazu Charlotte Bühler, Der Erlebnisbegriff in der modernen Kunstwissenschaft. Vom Geiste neuer Literaturforschung. (Festschrift für O. Walzel) 1924, S. 195 ff."
    22.     26-1: "... Schon Hegel hat die in seinem System vorgeordneten Aufgaben der Psychophysik der Anthropologie, die Aufgaben der Erlebnisbeschreibung und -erklärung der Phänomenologie überantwortet, um der Psychologie im engsten Sinne des Wortes eine neue, systemhöhere Aufgabe zu stellen. ..."
    23.     26-2: "... Viele von den Neueren folgen ihm wenigstens in dem einen Punkt, daß sie eine Auslese treffen aus dem Material der Erlebnisse und nur die „sinnhaften", „sinntragenden" in ihre Theorie aufnehmen.
    24.     26-3: Ganz so schroff schematisch wie bei Hegel tritt die Teilung zwar nicht mehr auf. Aber immer noch die Voraussetzung und das Vertrauen, daß sich die sinntragenden Erlebnisse als solche zu einem System, zu einem theoretisch vollendbaren und aus sich begreifbaren Ganzen zusammenschließen, und daß man Lücken in diesem Ganzen hypothetisch zu überbrücken berechtigt sei durch die Annahme von sinntragenden Dispositionen, wenn ich mich kurz so ausdrücken darf. ..."
    25.     26-4: Das Neue besteht nun darin, daß man erstens diese Verflechtungen zum Ausgangsgegenstand der Psychologie wählt und zweitens die axiomatische Voraussetzung macht, daß die in den Erlebnissen aufzeigbaren „Sinnbänder" (um einen Ausdruck Sprangers zu gebrauchen) einen Kosmos bilden, jene Kohärenz und Geschlossenheit aufweisen, die man von den Gegenständen eines Gebietes voraussetzen muß, um den Versuch einer einheit-[>27]lichen Theorie für aussichtsreich zu halten. Die  Sinnbändertheorie macht diesen interessanten Versuch, wir werden sehen, mit welchen Erfolgen."
    26.     27: "Das Verhältnis der Theorien zueinander. Die Psychologie soll ihre Schicksalsstunde, die zweite seit hundert Jahren, nicht versäumen. Kontakt, Kritik und Antwort sind lebensnotwendig für jede fortschreitende Wissenschaft, sie sind das erste, was wir wiederherstellen müssen, um unsere Krise zu lösen. Wir haben es erlebt, daß Behavioristen der jungradikalen Richtung die ältere Erlebnispsychologie zum alten Eisen warfen, daß Interpretationspsychologen den Namen Psychologie für ihr Unternehmen ganz allein „zurückgefordert" haben, während Psychophysiker und sonstige Experimentatoren in ihren  Laboratorien sich peinlich frei zu halten strebten von den „Systemdichtern" und sonstigen „Spekulanten" aus dem Lagerder „Geistreichen und Schönschreiber".  ..."
    27.     29: "II. Die drei psychologischen Aspekte. Wie ist Psychologie möglich? So würde Kant in unserer Lage fragen. Es obliegt in der Tat dem Philosophen, bald über die Möglichkeit, bald über die Notwendigkeit des Gegebenen nachzudenken. Und wir bedürfen der philosophischen Besinnung auf unsere Axiomatik, ihren Charakter und ihre Tragfähigkeit. Es ist eine Art transzendentaler Deduktion im Sinne Kants, die notwendig ist und hier erstrebt wird. Ich stelle die These auf, daß jeder der drei Aspekte möglich und keiner von ihnen entbehrlich ist in der einen Wissenschaft der Psychologie. Denn jeder von ihnen fordert die beiden anderen zu seiner Ergänzung, damit ein geschlossenes System wissenschaftlicher Erkenntnisse zustande kommt. Aus jedem von ihnen entspringen eigene, der Psychologie unentbehrliche Aufgaben, die sinnlos oder unlösbar werden, wenn man ihn aufgibt. Zum Ausgangsgegenstand der Psychologie gehören also die Erlebnisse, das sinnvolle Benehmen der Lebewesen und ihre Korrelationen mit den Gebilden des objektiven Geistes. Zum philosophischen Problem wird dann die Frage, ob und zu welcher noch unbenannten Einheit diese drei Ausgangsgegenstände als konstitutive Momente gehören oder hinführen."

     



    Erlebnispsychologie in Bühlers Sprachtheorie (1934) Kürzel B1934.

    Zusammenfassung Erleben in der Sprachtheorie B1934: Erleben wird 5x erwähnt (insgesamt 9x mit 4 Pseudos). In keiner der 5 Textstellen (S. 41, 53f, 68f, 135, 374f)  wird erleben erklärt, auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literaturhinweis.

    Gliederung des Werkes. Da ist zunächst das Geleitwort von Kainz (I-XIX). Es folgt das Vorwort von Bühler (XX-XXX). Sodann kommt das detallierte  Inhaltsverzeichnis XXXI-XXXIV. Danach beginnt der Text 1-418. Abschließend das Namensregister 419-422 und das Sachregister 423-434. Die Literatur ist in den Text eingearbeitet und in Fußnoten ausgewiesen.

    Fundstellen
    Im Inhaltsverzeichnis wird ausgewiesen: Objektive Verifizierung der erlebnispsychologischen Beobachtungen 254.
    Im Sach-Register wird ausgewiesen: "Erlebnispsychologie 132ff., 250, 292, 328, 330. 342"
    Fundstellen im gesamten Text: erleben 5 (9 mit 4 Pseudos), erlebt(e,n) 14, Erlebnis 68.
        23-
    B1934 Fundstellen erleben im Text
    B1934-41: "... Der Zuschauer nimmt die Maske und Gesten, die Worte und Taten des Individuums Bassermann als etwas hin,
    durch das hindurch er den Wallenstein des Dichters zu erleben vermag. ..."
    B1934-53f: "Das Sprachwerk als solches will entbunden aus dem Standort im individuellen Leben und Erleben seines Erzeugers betrachtbar [>54] und betrachtet sein. ..."
    B1934-68f: "Wohl wahr, daß wie alles andere, was wir ererbt von den Vätern haben, so auch „die Sprache" rezipiert sein will und ihre Auferstehung [>69] erleben muß im Monadenraum des Sprechers.
    B1934-135: "Dieser dritte Hauptfall ist meist ein labiles und unbeständiges Eingangserlebnis. Sein Erkennungszeichen liegt darin, daß der Erlebende imstande ist, die Richtung, in welcher das Abwesende vom geistigen Auge gesehen wird, mit dem Finger anzugeben. Ungefähr so, wie unser Stadtwanderer die Richtung nach dem Bahnhof angibt. Ich frage z. B. 500 Hörer in der Vorlesung ,wo ist der Stephansdom ? ' und schätzungsweise 30o Zeigefinger erheben sich und deuten (mit allerhand interessanten Abweichungen) im Raum des Hörsaals."
    B1934-374f: "Ein Eigenname wie ‚Heidelberg' oder ,Bodensee' nennt unbewegliche Dinge, zu denen ein gewöhnlicher Mohammed faktisch hin [>375] gehen muß, um eine Bedeutungserfüllung der Namen zu erleben. ..."

    B1934-Erleben-Pseudos
    B1934-212: "... Wir haben in meinem Institut vor kurzem fruchtbare Lallsituationen des Kinderlebens systematisch untersucht und das Hörbare auf Schallplatten fixiert; ... "
    B1934-299: "... So ist es in den Fiktionsspielen des Kinderlebens und darüber hinaus in den gewöhnlichen Ernstfällen sporadischer Wendungen eines Sprechers an ungesehene oder stumme Hörer (wie es die Naturgewalten sind). ... "
    B1934-346: "... So entstehen im Kinderleben die ungezählten merkwürdigen Benennungen, welche niemand aufschreibt; .."
    B1934-381: "... Der Liebende und Geliebte überleben in der Regel samt ihrer Liebe die gegebene Sprechsituation ..."

    Im B1934 Sachregister ausgewiesene Textstellen
    Im Sach-Register wird ausgewiesen: "Erlebnispsychologie 132ff., 250, 292, 328, 330. 342"
    Anmerkung: Beim Durchsuchen der gescannten Seiten nach den Sachregisterangaben, ist mir zufällig aufgefallen, dass hier auch drei mal "beweis" gefunden wurde, im ganzen Buch gibt es zu "beweis" 77 Fundstellen.
     

      133: "... Wie ist es mit dem sprachlichen Zeigen, das er selbst vollbringt oder dem er folgt im Phantasma? Er soll dabei unserer Verabredung gemäß nicht im wahren Sinn des Wortes entrückt werden aus seiner gegenwärtigen Wahrnehmungssituation. Und ein Normaler wird es in der Regel auch gar nicht; man erlebt z, B. den Übergang zurück in die Angelegenheiten des Alltags und zu dem, was der Augenblick erfordert, durchaus nicht als ein echtes Aufwachen wie aus einem Traum, wenn man irgendwann am Tage etwa eine anschauliche ..."

      134: "Genau das Entgegengesetzte liegt vor im zweiten Hauptfall, wo Mohammed zum Berge geht. Man ist nach einem charakteristischen Erlebnisvorspiel oder unvermittelt und plötzlich hinversetzt in der Vorstellung an den geographischen Ort des Vorgestellten, man hat das Vorgestellte vor dem geistigen Auge von einem bestimmten Aufnahmestandpunkt aus, den man angeben kann und an dem man selbst sich befindet in der Vorstellung"

      135: "...  Eine Erzählungstechnik, die der kindlichen Leistungsfähigkeit angepaßt ist, und das moderne Kino suchen manchmal die Vorstellung als solche zu unterstützen; in Tausend und einer Nacht erhebt man sich mit einem Wundervogel in die Luft, das Kino führt rasch durch ein paar überlagerte Bilder von einem zum anderen Standort über. Die Analyse J. SEGALS, auf dessen sorgfältige Arbeit ich mich hier neben anderem stütze, fand zu all dem Analoga im Erlebnis seiner erwachsenen und geübten Beobachter.
          Nun eines noch, was beim ersten Hören sehr merkwürdig klingt, aber durchaus gesichert und theoretisch konstruierbar ist. Es gibt einen Zwischenfall zwischen Hierbleiben und Hingehen; Berg und Mohammed bleiben jeder an seinem Ort, aber Mohammed sieht den Berg von seinem Wahrnehmungsplatz aus. Dieser dritte Hauptfall ist meist ein labiles und unbeständiges Eingangserlebnis. Sein Erkennungszeichen liegt darin, daß der Erlebende imstande ist, die Richtung, in welcher das Abwesende vom geistigen Auge gesehen wird, mit dem Finger anzugeben."

      250: "Unser Durchprobieren der deutschen Verba nach der Möglichkeit, ihnen ein analytisches Objekt beizufügen, scheiterte keineswegs an den sogenannten intransitiven; ein Beweis, daß auch sie eine Objektsbeifügung innerlich (begrifflich) gestatten.
      ... Diese Aktionskategorie ist aber keineswegs die einzige, welchesprachliche Darstellungen ermöglicht; nicht einmal im Indogermanischen. Wo sie angewendet wird, sind die Fragen wer? und wen? sinnvoll; sonst nicht. Es ist also gar nicht so, wie WUNDT glaubt, daß zu den Gefügegliedern in Romam proficisci ein äußeres Datum, nämlich Raumordnung hinzugedacht wird, in Romam defendere dagegen nicht. Sondern logisch gleichgeordnet dem Raum ist im  zweiten Fall die Aktionskategorie. Bei Romam fugere und Romam videre ist es prinzipiell nicht anders. Es kommt nicht darauf Ra an, daß man die Verhältnisse erlebnispsychologisch charakterisiert und von Intentionen spricht. Tut man es, dann fragt wer? nach dem intendierenden und wen? nach dem intendierten Glied im Gefüge: ,ich sehe, fühle, denke, will das und das'. Statt ,ich‘ kann natürlich auch ,du‘ und ,er‘ stehen. Nein, diese erlebnispsychologische Interpretation ist keine conditio sina qua non; auch ; 1 das behavioristische Denkmodell vermag die Verhältnisse verständlich zu machen."

      251: ".... Die Analyse der Impersonalia wird den Beweis erbringen, daß wir Sätze auch dort, wo ein Geschehen geschildert wird, mit einem anderem Denkmodell bauen können; und in den echten Nominalsätzen liegen die Verhältnisse zum dritten Male anders."

      292: "HUSSERL widmet in den logischen Untersuchungen scharfsinnige Betrachtungen der Frage nach den ,einfachen Bedeutungen'. Und folgendes ist knapp gefaßt das uns hier interessierende Ergebnis: „daß es wirklich einfache Bedeutungen gibt, lehrt das unzweifelhafte Beispiel etwas. Das Vorstellungserlebnis, das sich im Verständnis des Wortes vollzieht, ist sicherlich komponiert, die· Bedeutung ist aber ohne jeden Schatten von Zusammensetzung" (288); halten wir das fest: „Im Sinne (dieser Redeweise) besteht· Zusammengesetztheit aus Teilen, die selbst wieder den Charakter von Bedeutungen besitzen"

      328: "SCHMIDT nun behandelt die Tatsachen als Kulturkreisforscher. Was mag die Vor- oder Nachstellung des bestimmenden Kompositionsgliedes mit Kultur und Kulturkreisen zu tun haben? SCHMIDT· deckt Korrelationen der schlichten Reihung zu anderen Feldmomenten, vor allem zu Präfix- oder Suffix-Verwendung und zum Auftreten von Präpositionen und Postpositionen auf, so daß er schließlich das eine Moment der Reihung wie eine Art Leitmuschel des gesamten strukturvergleichenden Verfahrens benützen kann. Es entsteht kraft dieser Korrelationen ein weitverzweigtes, sprachtheoretisch faszinierendes Theoriengebäude, und zu guter Letzt wird ja eine erlebnispsychologische Basis gesucht. SCHMIDT glaubt, es müsse, wohl völkerpsychologisch eine Motivation oder Motivationen für die Entscheidung der Sprachen, ob Vor oder Nach, zu finden sein. Und diese Motivation, um welche mannigfache Überlegungenkreisen, ist, wenn ich recht sehe, der Schlußstein in dem weitgespannten. Kuppelbau der SCHMIDTschen Theorie; sie ist das Bindeglied zwischen Sprachstrukturen und Kulturkreisen."

      330: "Nein, so summarisch ist die Motivationsfrage im Rahmen des SCHMIDTschen Problems gewiß nicht zu lösen. Ich mache den Vorschlag, die Dinge nicht sofort aus dieser oder jener relativ einladenden erlebnispsychologischen Gesetzmäßigkeit begreifen und erklären zu wollen. ... "

      342: "Die weitausgesponnenen Beispielsammlungen der antiken Rhetorik, welche vorwiegend für didaktische Zwecke angelegt wurden, sind sprachtheoretisch steril, soweit meine Kenntnis reicht; moderne Forscher sind vielfach in erlebnispsychologischen Fragen, die gewiß auch dazu gehören, stecken geblieben1)."

      343: "Als metaphorisch empfunden wurden von den psychologischen Experten STÄHLINS1) so einfache sprachliche Kompositionen wie ,der greise Wald'; die Versuchspersonen gaben an, daß sie durch das Beiwort an bestimmte Eigenschaften, z. B. die Rinde alter Bäume oder an wirr herabhängende Flechten, erinnert und in einer eigentümlichen Weise der Überlagerung und des Ineinander von zwei Bedeutungssphären (Mensch — Baum) dabei inne werden. Wenn man parallel dazu ,ein verwitterter Greis' bildet, so werden es ähnliche Eigenschaften des Aussehens alter Menschen sein, die im Erlebnis unterstrichen sind. Nur diesmal natürlich gedacht (und vielleicht auch innerlich gesehen) an einem Menschen; und zwar so, als ob sie diesmal herübergenommen wären aus der Sphäre 'Gemäuer, Felsen'. Die subtilen Erlebnisanalysen in STÄHLINS Arbeit erbringen also den Beweis, daß der von den Griechen erfundene und zunächst auf die umständlich durchgeführten poetischen und rhetorischen Vergleiche gemünzte Terminus Metapher auch für die Erlebnisanalyse zu Recht besteht und treffend ist. Im Erlebnis ist oft (selbst bei den einfachen Beispielen, die wir absichtlich gewählt haben) eine Sphären-Zweiheit und so etwas wie das Hinüber von einer in die andere nachweisbar und verschwindet erst bei großer redensartlicher Geläufigkeit der Kompositionen.
          Wir treiben hier weder Stilistik noch Erlebnispsychologie, sondern überlegen als Sprachtheoretiker, welche Bewandtnis es mit der Allverbreitung metaphorischer Wendungen und Techniken in der darstellenden Sprache ..."


    Fundstellen Erlebnis in B1934

    Zusammenfassung Erlebnis in B1934: Suchen nach "Erlebnis" ergibt insgesamt 68 Fundstellen. Eine geht auf das Geleitwort von Kainz, die zweite auf das Inhaltsverzeichnis, verbleiben noch 66. Ich habe die ersten 10 Fundstellen ab Seite 8 bis Seite 126 erfasst und bei keiner eine Erklärung oder nähere Ausführung zu Erlebnis gefunden. Auch nicht durch Querverweis, Anmerkung, Fußnote oder Literurhinweis. Ich gehe daher davon aus, dass Bühler den Begriff in seiner Sprachtheorie von 1934 für nicht erklärungs- oder begründungsbedürftig, sondern für allgemeinverständlich hält. Ich habe dann aufgehört weiter zu suchen und zu dokumentierren, weil ich davon ausgehe, was in den ersten 10 Erwähnungen der ersten 118 Seiten nicht erklärt wird,  wie es nach den Grundregeln für wichtigere Begriffe, eigentlich sein sollte, auch wahrscheinlich später nicht mehr erklärt.

    Der erste Gebrauch findet sich im Geleitwort von Kainz (VII), der zweite im Inhaltsverzeichnis XXXIII: "Objektive Verifizierung der erlebnispsychologischen Beobachtungen 254".
    8: "... Oder die Voraussetzung ist falsch, daß der Sprachforscher zuerst und primär überall aus fremden Augen auf das zu Erforschende blickt; bald aus den Augen des Physikers und Physiologen, bald wieder aus denen des Erlebnispsychologen
    und dann des Soziologen, Historikers usw. ... 1)."
    9: "... Es gehört ein Aha-Erlebnis z. B. an der Schwelle zwischen Phonetik und Phonologie dazu, um sich aus dem Zauberkreis der stoffdenkerischen Weltaufteilung ein und für' alle Male zu befreien. Und zu diesem und analogen Aha-Erlebnissen ist DE SAUSSURE noch nicht gekommen, obwohl er sie vorbereiten half wie kaum ein anderer."
    55: "Ob der Stoff ein äußeres Ereignis, Erlebnis oder sonst etwas ist, jedenfalls zielt die sprachliche Werkbetrachtung in allen Fällen auf die Fassung und in vielen Fällen minutiös auf die einmalige Fassung und Gestaltung als solche ab.  ..."
    58: "... Schroff gegen diese verhängnisvollste aller Stoffentgleisungen wird von uns erstens die These von der Idealität des Gegenstandes ,Sprache', wie er von der üblichen Sprachwissenschaft gefaßt und behandelt wird, zu vertreten und z weitens
    wird der prinzipielle Mißgriff aufzudecken und als Mißgriff zu entlarven sein, den all jene getan haben, die im Banne der klassischen Assoziationstheorie die zweifelsfrei nachzuweisenden Komplexions- und Verlaufsverkettungen in unserem Vorstellungsleben verwechseln mit dem Bedeutungserlebnis.
    59-1: "Wenn, um dies gleich anzubringen, das Bedeutungserlebnis (A bedeutet B) ... "
    59-2: "... Kein Wunder, daß selbst ein Denker vom Formate eines J. ST. Mill, der sich aus der Verstrickung der faktisch so einfachen Grundthese der klassischen Assoziationstheorie nicht zu lösen vermochte, nach langen Erörterungen über die z. B. im Urteil S ist P zwischen o und n (den Vorstellungen von S und P) bestehende assoziative Verkettung, zum Eingeständnis kam: Es müsse zwar so sein, daß diese Verkettung das Spezifische im Urteilserlebnis enthält, allein das Ganze käme ihm wie das „tiefste Mysterium der menschlichen Natur" vor')."
    67f: "... Sie hat er mitgenommen und seine Sinne (Augen und Ohren) hat er [>68] auch noch und seine Erinnerungen; im ganzen ein genügendes Material von Erlebnissen, um daran das Einklammern und die Modellschau zu vollziehen. ..."
    96: "... Die Form der Wörter ist bei allen Sendern einer Sprachgemeinschaft für alle Positionen, die sie einnehmen mögen, bzw. für alle Erlebnislagen, aus denen heraus sie sprechen, eine und dieselbe, nämlich das eine Mal ‚hier' und das andere Mal ‚ich'. ..."
    110: "... Es ist (nebenbei gesagt) eine möglichst objektivistisch gehaltene Analyse, die auf das Erlebnis des Sprechers noch gar nicht näher eingeht."
    126: "... Das Faktum des wachen Orientiertseins wird in der Erlebnispsychologie in verschiedenen Kapiteln behandelt, die man synoptisch ausziehen muß, um sich die für jede gründliche Sprachtheorie unentbehrlichen Informationen aus dem Schatz des wissenschaftlich Festgestellten zu verschaffen. ..."



     
     
     





    Literatur (Auswahl)
    • Bühler, Karl (1904) Eine Analyse komplizierter Denkvorgänge. In (263-266)  Schumann, F. (1904, Hsrg,) BERICHT über den I. Kongreß für experimentelle Psychologie in Würzburg vom 18. bis 21. April 1904. Leipzig: Barth (1904).
    • Bühler, Karl (1907) Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. Über Gedanken. Archiv für die gesamte Psychologie, 9, 297-365. [Online]
    • Bühler, Karl (1913) Die Gestaltwahrnehmungen. Experimentelle Untersuchungen zur psychologischen und ästhetischen Analyse der Raum- und Zeitanschauung. Spemann, Stuttgart 1913.
    • Bühler, Karl (1918) Die geistige Entwicklung des Kindes. Verlag Gustav Fischer, Jena 1918.
    • Bühler, Karl (1927) Die Krise der Psychologie. Verlag Gustav Fischer, Jena 1927.
    • Bühler, Karl (1931) Phonetik und Phonologie. In: Travaux du Cercle Linguistique de Prague. Band 4, 1931, S. 22–53.
    • Bühler, Karl (1931) Axiomatik der Sprachwissenschaften. Klostermann, Frankfurt 1933.
    • Bühler, Karl (1933) Ausdruckstheorie. Das System an der Geschichte aufgezeigt. Verlag Gustav Fischer, Jena 1933.
    • Bühler, Karl (1934) Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. G. Fischer, Jena 1934. (2., unveränd. Auflage. mit einem Geleitwort von Friedrich Kainz, G. Fischer, Stuttgart 1965; 3. Auflage. (= UTB für Wissenschaft. 1159). G. Fischer, Stuttgart u. a. 1999)
    • Bühler, Karl (1936) Die Zukunft der Psychologie und die Schule. (= Schriften des pädagogischen Instituts der Stadt Wien. Heft 11). Deutscher Verlag für Jugend und Volk, Wien/ Leipzig 1936.
    • Bühler, Karl (1963) Das Gestaltprinzip im Leben des Menschen und der Tiere. Verlag Hans Huber, Bern 1963.
    • Bühler, Karl (1969) Die Uhren der Lebewesen und Fragmente aus dem Nachlass. Verlag Böhlau, Wien/ Köln/ Graz 1969.


    Friedrich, Janette (2016, Hrsg.) Karl Bühlers Krise der Psychologie. Positionen, Bezüge und Kontroversen im Wien der 1920er/30er Jahre. Veröffentlichungen des Instituts Wiener Kreis, Bd. 26. Cha (Schweiz): Springer.



    Links(Auswahl: beachte)
    • https://karlbuehler.org/home




    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
    __
    Oxymoron
    "Ein Oxymoron ist eine rhetorische Figur, bei der eine Formulierung aus zwei gegensätzlichen, einander widersprechenden oder sich gegenseitig ausschließenden Begriffen gebildet wird, z. B. „alter Knabe". Häufig werden Oxymora in Form von Zwillingsformeln geprägt." (Wikipedia Abruf 29.12.2022)
    __
    präsumieren
    Duden (Abruf 29.12.2022): "voraussetzen, annehmen, vermuten. Gebrauch  Philosophie; Rechtssprache "
    __

    Querverweise
    Standort: Erleben und Erlebnis bei Karl Bühler.
    *
    Haupt- und Verteilerseite Die Erforschung des Erlebens und der Erlebnisse
    Zur  Methode der Fundstellen-Textanalyse  * Hauptbedeutungen Erleben und Erlebnis  * Zusammenfassung *
    *
    Suchen in der IP-GIPT, z.B. mit Hilfe von "google": <suchbegriff> site:www.sgipt.org
    z.B. Inhaltsverzeichnis site:www.sgipt.org. 
    *
    Dienstleistungs-Info.
    *

    Zitierung
    Sponsel, Rudolf  (DAS). Erleben und Erlebnis bei Karl Bühler. IP-GIPT. Erlangen: https://www.sgipt.org/gipt/erleben/BühlerK.htm

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