BegruendungArt.
44 Junge untergebrachte Personen [S. 61ff]u
Zu Art. 44 Junge untergebrachte Personen:
Art. 44 ist eine Neuregelung und enthält besondere Vorschriften
für junge untergebrachte Personen.
Zwar bestimmt Art. 2 Abs. 3 bei allen Maßnahmen auf Grund dieses
Gesetzes, dass auf das Alter der unterge- brachten Person Rücksicht
genommen werden soll. Dies gebietet insbesondere auch, die Belange und
Bedürfnisse von Jugendlichen und Heranwachsenden sowie jungen Erwachsenen
gesondert zu berücksichtigen. Neben dieser allgemeinen und verbindlichen
Vorgabe ist es jedoch erforderlich, für untergebrachte Personen, die
zur Tatzeit das 21. Lebensjahr noch Seite 62 Bayerischer Landtag 17. Wahlperiode
Drucksache 17/4944 nicht vollendet hatten, bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres
(junge untergebrachte Personen) unter Anwendung der Grundsätze der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 2006 (BVerf-GE 116,
69, 80 ff.) altersspezifische Sonderregelungen zu treffen. Für den
Jugendstrafvollzug hat das Bundesverfassungsgericht in dem zitierten Urteil
deutlich ausgesprochen, dass die Verpflichtung des Staates, negative Auswirkungen
des Strafübels auf die Lebens- tüchtigkeit der Gefangenen weitest
möglich zu mindern, hier besonders ausgeprägt sei, weil auf den
Jugendstrafge- fangenen in einer Lebensphase eingewirkt werde, die auch
bei nicht delinquentem Verlauf noch der Entwicklung zu einer Persönlichkeit
diene, die in der Lage sei, ein rechtschaffenes Leben in voller Selbständigkeit
zu führen. Indem der Staat in diese Lebensphase durch Entzug der Freiheit
eingreife, übernehme er für die weitere Entwicklung des Betroffenen
eine besondere Verantwortung. Dieser gesteigerten Verantwortung könne
er nur durch eine Vollzugs- gestaltung gerecht werden, die in besonderer
Weise auf Förderung - vor allem auf soziales Lernen sowie die Aus-
bildung von Fähigkeiten und Kenntnissen, die einer künftigen
beruflichen Integration dienen – gerichtet sei. Diese Ausführungen
gelten nach ihrem Schutzzweck auch für den Vollzug der Unterbringungen
nach diesem Gesetz bei jungen untergebrachten Personen.
In Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist der Vollzug
der Unterbringungen nach diesem Gesetz bei jungen untergebrachten Personen
erzieherisch auszugestalten. Die jungen untergebrachten Personen sollen
durch die Erziehung während des Vollzugs in die Lage versetzt werden,
nach der Entlassung ein Leben ohne Straftaten zu führen, einen rechtschaffenen
Lebenswandel zu führen, und dies zusätzlich in sozialer Verantwortung,
d. h. sie sollen im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein nützliches
Glied in der Gesellschaft werden.
Auch wenn die meisten Regelungsmaterien für junge untergebrachte
Personen und für die übrigen untergebrachten
Personen identisch sind, ist der Vollzug der Unterbringungen nach diesem
Gesetz bei jungen untergebrachten Personen von seinem Wesen her etwas anderes
als bei den übrigen untergebrachten Personen.
Zu Abs. 1
In Satz 1 wird der Begriff der jungen untergebrachten Personen definiert
und schließt dabei neben den jugendlichen
untergebrachten Personen auch – parallel zum Jugendstrafvollzug – diejenigen
jungen erwachsenen untergebrachten Personen bis zur Vollendung des 24.
Lebensjahres mit ein, die zum Tatzeitpunkt das 21. Lebensjahr noch nicht
vollendet hatten (Heranwachsende im Sinne des JGG). Die Einbeziehung der
zweiten Personengruppe ist sachge- recht und entspricht dem für den
Jugendstrafvollzug geltenden Rechtsgedanken des § 89b JGG, wonach
der Voll- zug in der Regel bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres in einer
Jugendstrafvollzugsanstalt vollzogen wird, und so möglichst frühzeitig
eine Annäherung an die für Gefangene dieser Altersgruppe angebrachte
Form der Vollzugsge- staltung erreicht werden kann.
Entsprechend der vergleichbaren Konzeption im Bereich des Jugendstrafvollzugs
wird davon abgesehen, ein eigen- ständiges Gesetz für den Vollzug
der Unterbringungen nach diesem Gesetz für junge untergebrachte Personen
zu schaffen. Daher findet Art. 44 ergänzend Anwendung auf den Vollzug
der Unterbringungen nach diesem Gesetz. Gleichwohl wird der selbständige
Charakter des Vollzugs der Unterbringungen nach diesem Gesetz bei jungen
untergebrachten Personen, wie schon erwähnt, ausdrücklich anerkannt.
Der Vollzug der Unterbringung soll bei jungen untergebrachten Personen
erzieherisch gestaltet werden. Dies hat für die Maßregelvollzugseinrichtung
zur Folge, dass alle Maßnahmen im Rahmen der Unterbringung in besonderer
Weise darauf auszurichten sind, die Entwicklung der Persönlichkeit
der jungen untergebrachten Personen soweit als möglich zu unterstützen
und zu leiten. Der Vollzug ist bei jungen untergebrachten Personen noch
stärker auf ein soziales Lernen sowie die Ausbildung von Fähigkeiten
und Kenntnissen, die einer künftigen beruflichen Integration
dienen, auszurichten.
Abs. 1 vermittelt den jungen untergebrachten Personen einerseits keinen
Anspruch auf Durchführung einer konkre- ten Maßnahme durch die
Maßregelvollzugseinrichtung. Andererseits enthält er aber auch
keinen bloßen Programm- satz, sondern verpflichtet die Maßregelvollzugseinrichtung,
den Vollzug der Unterbringungen bei jungen unterge- brachten Personen altersspezifisch
und eigenständig auszugestalten.
Bei volljährigen jungen untergebrachten Personen, die nicht oder
nicht mehr erziehungsbedürftig sind, wird der Maßregelvollzugseinrichtung
ermöglicht, von der Anwendung des Art. 44 abzusehen.
Aufgrund der weitreichenden Folgen der Nichtanwendung der Vorschriften
für junge untergebrachte Personen ist die Entscheidungskompetenz gemäß
Art. 49 Abs. 2 Nr. 15 der Leitung der Maßregelvollzugseinrichtung
zugewiesen.
Satz 2 bestimmt durch Verweisung auf Art. 126 Abs. 2 BayStVollzG die
Zusammenarbeit mit den Personen-
sorgeberechtigten.
Durch die Regelung werden die Personensorgeberechtigten in die Lage
versetzt, ihrer gesetzlichen Verpflichtung gegenüber den jungen untergebrachten
Personen, soweit diese noch minderjährig sind, nachzukommen. Dabei
ist aufgrund der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung zu beachten,
dass die Maßregelvollzugseinrichtungen, die gesetzlich für die
jungen untergebrachten Personen verantwortlich sind, in Erfüllung
ihres Auftrages bei den erziehe- rischen [>63] Maßnahmen ein vorrangiges
Bestimmungsrecht haben müssen. Dies schließt natürlich
nicht aus, Anre- gungen oder Vorschläge der Personensorgeberechtigten,
die mit dem Erziehungsauftrag in Einklang stehen, auch bei der Vollzugsgestaltung
zu berücksichtigen. Nachdem aber junge untergebrachte Personen in
einer Vielzahl von Fäl- len aus zerrütteten und von Alkoholismus,
Drogen, Gewalt und sozialer Verwahrlosung gezeichneten Verhältnissen
stammen, müssen die Beschäftigten der Maßregelvollzugseinrichtung,
sollte es nicht bereits zu einem Entzug der Personensorgeberechtigung gekommen
sein, vorsichtig abwägen, ob sie einer Anregung nachkommen. Oberste
Maxime muss daher immer die Erfüllung des Erziehungsauftrags sein.
Eine Verpflichtung der Maßregelvollzugseinrichtung, die Wünsche
der Personensorgeberechtigten, ggf. sogar erst deren Aufenthalt, zu ermitteln,
lässt sich aus Satz 2 in Verbindung mit Art. 126 Abs. 2 BaySt-VollzG
nicht herleiten. Es wird lediglich festgehalten, dass sich die Maßregelvollzugseinrichtung
mit den Äußerungen der Personensorgebe- rechtigten nach pflichtgemäßem
Ermessen auseinandersetzen muss. Sollten Personensorgeberechtigte das Erreichen
der Ziele der Unterbringungen nach diesem Gesetz behindern oder vereiteln,
kann die Maßregelvollzugsein richtung den Kontakt abbrechen oder
unterbinden. Es sollte dann das zuständige Familiengericht verständigt
werden.
Zu Abs. 2
Nach Abs. 2 sind junge untergebrachte Personen nach Möglichkeit
in spezialisierten Einrichtungen für junge unter- gebrachte Personen
unterzubringen. Dadurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass junge
untergebrachte Personen im Interesse des Schutzes vor einer etwaigen negativen
Beeinflussung durch erwachsene untergebrachte Personen sowie aufgrund der
altersbedingten spezifischen Vollzugsgestaltung möglichst getrennt
von erwachsenen untergebrachten Personen in spezialisierten Einrichtungen
untergebracht werden sollen.
Zu Abs. 3
Nach Art. 10 Abs. 2 kann untergebrachten Personen, soweit es sinnvoll
und erforderlich ist, Gelegenheit zur
schulischen Bildung, Berufsausbildung, beruflichen Weiterbildung oder
Teilnahme an anderen ausbildenden oder weiterbildenden Maßnahmen
gegeben werden. Abs. 3 ergänzt diese Regelung, indem für schulpflichtige
junge untergebrachte Personen die Verpflichtung zur Teilnahme am allgemein-
oder berufsbildenden Unterricht normiert wird. Schulische und berufliche
Bildung haben für junge untergebrachte Personen für die Entwicklung
ihrer Persön- lichkeit eine herausragende Bedeutung. Erfahrungsgemäß
bestehen insoweit erhebliche Defizite. Die Verpflichtung nach Abs. 3 steht
zum einen unter dem Vorbehalt, dass der Gesundheitszustand der jungen untergebrachten
Person die Teilnahme am allgemein- oder berufsbildenden Unterricht zulässt.
Dies ist erforderlich, weil eine Unterrichts- pflicht nur bei deren Vereinbarkeit
mit der Krankheit, die Anlass für die Unterbringung ist, denkbar ist.
Zum ande- ren müssen die räumlichen und organisatorischen Verhältnisse
der Maßregelvollzugs- einrichtung eine Unterrichtung zulassen, weil
möglicherweise in kleineren Maßregelvollzugseinrichtungen entsprechende
Angebote schon aufgrund geringer Unterbringungszahlen nicht vorgehalten
werden können. Zwar wird in solchen Fällen eine Verlegung in
eine andere Maßregelvollzugseinrichtung mit entsprechenden Angeboten
häufig angezeigt sein, doch können gerade in einem Flächenstaat
wie Bayern auch andere Gesichtspunkte (Nähe zu den Familienangehörigen)
ausnahmsweise gegen eine Verlegung in eine Maßregelvollzugseinrichtung
mit entsprechenden Angeboten sprechen. Hier ist im Ein- zelfall eine Abwägung
durch die Maßregelvollzugseinrichtung erforderlich. Liegen die entsprechenden
Vorausset- zungen vor, kann die Teilnahme am allgemein- oder berufsbildenden
Unterricht auch in geeigneten Einrichtungen außerhalb der Maßregelvollzugseinrichtung
im Wege der Vollzugslockerung (Art. 16) sowie durch Ausführungen (Art.
21) gewährt werden. Die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen sind
durch die Maßregelvollzugseinrichtun- gen zu treffen.
Zu Abs. 4
Abs. 4 konkretisiert den Erziehungsauftrag und benennt die vielfältigen
Angebote, die in der Maßregelvollzugsein- richtung vorgehalten werden
sollen, und verpflichtet die Maßregelvollzugseinrichtung, die jungen
untergebrachten Personen zur Mitwirkung zu motivieren.
Zu Abs. 5
Abs. 5 enthält eine Neuregelung. Er entspricht der Regelung in
Art. 144 Abs. 2 Satz 3 BayStVollzG und ergänzt für Außenkontakte
der jungen untergebrachten Personen die Art. 12 und 13.
Die Rechte der Personensorgeberechtigten werden bei minderjährigen
untergebrachten Personen dadurch gewahrt, dass Besuche, Schrift- und Paketverkehr
sowie Telefongespräche mit bestimmten Personen auch unter der Voraus-
setzung untersagt werden können, dass die Personensorgeberechtigten
hiermit nicht einverstanden sind. Allerdings wird der Maßregelvollzugseinrichtung
hierbei ein Ermessen eingeräumt, da ein von den Personensorgeberechtigten
ausgesprochenes Kontaktverbot nicht in jedem Fall dem wohl verstandenen
Interesse der minderjährigen unterge-
brachten Person dienen muss. Eine gesonderte Befragung der Personensorgeberechtigten
vor je Seite 64 Bayeri- scher Landtag 17. Wahlperiode Drucksache 17/4944
dem neuen Kontakt ist schon wegen des unvertretbaren Verwaltungsaufwands
nicht erforderlich.
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