Internet Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie
    (ISSN 1430-6972)
    IP-GIPT DAS=15.03.2014 Internet-Erstausgabe, letzte Änderung tt.mm.jj
    Impressum: Diplom-Psychologe Dr. phil. Rudolf Sponsel Stubenlohstr. 20  D-91052 Erlangen *
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    Anfang_Spurenakten_ Überblick_ Rel. Aktuelles_ Rel. Beständiges _  Titelblatt_ Konzeption_ Archiv_ Region_ Service_iec-verlag _ _Wichtige Hinweise zu Links und Empfehlungen

    Willkommen in unserer Internet-Publikation für Allgemeine und Integrative Psychotherapie, Abteilung Forensische Psychologie, Kriminologie, Recht und Strafe, Bereich forensische Gutachten, und hier speziell zum Thema:

    Spurenakten - Wenn Spuren verschwinden

    Zu:
    Potentielle Fehler in forensisch psychiatrischen Gutachten, Beschlüssen und Urteilen der Maßregeljustiz
    Eine methodenkritische Untersuchung illustriert an einigen Fällen u. a. am Fall Gustl F. Mollath
    mit einem Katalog der potentiellen forensischen Gutachtenfehler sowie einiger Richter-Fehler.

    von Rudolf Sponsel, Erlangen
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    Abstract - Zusammenfassung - Summary: Spurenakten
     

    Merke: Wenn Spuren verschwinden, suche in den Spurenakten. 
     
    Es gibt sog. "Spurenakten", die sich in den üblichen Gerichtsakten nicht finden, womit sich dann viele Spuren verlieren. Das ist praktisch für die Polizei und Staatsanwaltschaft, weil man sie dann nämlich nicht kontrollieren kann, ob sie ihrer Pflicht, in jede Richtung zu ermitteln, nachgekommen sind. Denn das tun sie zuweilen nicht, vor allem dann nicht, wenn politische Interessen im Spiel sind. Der Rechtsstaat ist ein ziemlicher Schweizer-Käse: für die Großen mit besonders großen Löchern. Wenn Spuren in den Gerichtsakten nicht auftauchen, tut man also gut daran, in den Spurenakten zu suchen, wo die Spuren gern verschwinden.
        Als praktisches und drastisches Beispiel diene der Fall Ulvi Kulac / Peggy. Gudrun Rödel hat in einem mehrseitigen Schreiben an die Staatsanwaltschaft (Nürnberger Nachrichten 13.3.14, S. 14) auf viele Spuren aufmerksam gemacht, die in den Gerichtsakten offenbar nicht zu finden sind. Das passt zu diesem ganzen Fall, der ohne Zweifel mit Mollath, Rupp und Old Schwurehand zu den schlimmsten Fehlleistungen der bayerischen Justiz und der forensischen Psychiatrie gehört.
        Die Bedeutung der sog. Spurenakten wird sehr schön und klar von Neuhaus in Widmaier Münchner Anwaltshandbuch Strafverteidigung (2006), Rn 64 - 67:
     
      "2. Spurenakten

      Rn 64
      Von erheblicher Bedeutung sind auch verfahrensfremde Akten. Sie können den Mandanten selbst betreffen, aber auch Zeugen, Sachverständige oder Mitbeschuldigte. Den Spurenakten, in denen tatbezogene Ermittlungen gegen Dritte und ihre Ergebnisse festgehalten wurden, kommt in diesem Zusammenhang ein besonderer Stellenwert zu, weil nach der Rechtsprechung zu den Verfahrensakten nur solche Akten zählen, die durch die Identität der Tat und die Identität des Beschuldigten konkretisiert sind.143 Entscheidend ist, ob ein Sachzusammenhang i. S. einer möglichen Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch besteht. Ob diese Bedingungen vorliegen, entscheidet die Staatsanwaltschaft, die bei der Auswahl der dem Gericht vorzulegenden Akten dem Grundsatz der Objektivität verpflichtet ist. Spurenakten müssen also nach verbreiteter Ansicht nicht notwendig zu den Hauptakten gehören.144

      Rn 65
      Sind sie deren Teil, ist das Akteneinsichtsrecht unproblematisch zu bejahen. Gleiches gilt, wenn sie in Sachverständigengutachten, etwa über am Tatort aufgefundene Fingerabdrücke oder DNA,145 enthalten sind.146 Anders aber verhält es sich mit Vorgängen, die dem Gericht nicht vorliegen, weil sie nach Ansicht der Anklagebehörde den notwendigen Sachzusammenhang nicht aufweisen. Insoweit handelt es sich um verfahrensfremde Akten. Da sich nicht immer ein Verzeichnis über eventuell vorhandene externe Spurenakten in der Ermittlungsakte befindet, muss die Verteidigung die Möglichkeit externer Spurenakten stets im Auge behalten und ggf. durch Nachfrage aufklären. Sie ist hier in besondere Verantwortung genommen, denn das Gericht, bei dem angeklagt wird, ist nicht verpflichtet, die (ihm nicht vorgelegten) Spurenakten auf ihre Relevanz für die Beurteilung der gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe zu untersuchen, weil – so die h. M. – die Aufklärungspflicht sonst ohne sachliche Anhaltspunkte ins Uferlose ausgedehnt und die Durchführbarkeit des Verfahrens gefährdet würde.

      Rn 66
      Es ist eine betrübliche Erfahrung aus zahlreichen Verfahren, insbesondere solchen vor dem Schwurgericht, dass die Staatsanwaltschaft allzu oft wichtige vom Beschuldigten wegführende Spuren nicht zur Hauptakte nimmt, wenn sie von einem hinreichenden Tatverdacht gegenüber dem Beschuldigten ausgeht und ihn anklagt. Solche Akten sind mitunter eine Fundgrube für eine erfolgreiche Verteidigung, und mancher Freispruch wäre ohne akribische Analyse der externen Spurenakten nicht zu erreichen gewesen; auch im Wiederaufnahmeverfahren sind die Spurenakten eine nicht zu vernachlässigende Erkenntnisquelle. Spurenakten können Aufschluss über Umfang, Intensität und Qualität der Ermittlungen geben, über andere Tatverdächtige und sonst unerledigte Spuren. Zu bedenken ist des Weiteren, dass es für manche Angeklagte nur eine erfolgversprechende Verteidigung gibt, nämlich darzulegen, dass mindestens noch ein anderer Tatverdächtiger existiert, gegen den sich ein Beweisring vergleichbarer Stärke schmieden lässt – oder früher hätte schmieden lassen – wie gegen ihn selbst. Das ist immer dann der Fall, wenn der Angeklagte die gegen ihn bestehenden Verdachtsmomente gar nicht bestreiten kann. In derartigen Fällen kann der Inhalt der Spurenakten die einzig mögliche Verteidigung wesentlich stützen.147 Die Kriminalgeschichte ist voll von Beispielen, in welchen die Verfolgung des wahren Täters abgebrochen und ein Unschuldiger verurteilt worden ist. Aus all diesen Gründen muss die Verteidigung klären, ob externe Spurenakten vorhanden sind und ggf. ihre Beiziehung und Einsicht beantragen. Insoweit genügt die Behauptung, der Beschuldigte wolle sich selbst überzeugen, ob in den Spurenakten entlastendes Material enthalten ist,148 zumal Rechtsprechung und Literatur der Ansicht sind, dass die Frage des Zusammenhanges mit der dem Beschuldigten zur Last gelegten Tat „großzügigst“149 zu behandeln sei. Vor diesem Hintergrund ist, was praktische Erfahrungen bestätigen, die Ablehnung der Beiziehung solcher Akten durch das Gericht bzw. die Zurückweisung eines Einsichtsgesuches nur Theorie. Das Einsichtsgesuch ist an die Stelle zu richten, die die Akten zurzeit verwahrt, im Ermittlungsverfahren also an die Staatsanwaltschaft, in den Verfahrensabschnitten bis zur Rechtskraft an das Gericht."
       

    Merke: Wenn Spuren verschwinden, suche in den Spurenakten. 
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    Literatur (Auswahl) zum Thema > Akte und Gutachten nach Aktenlage.
     
    • Neuhaus Spurenakten in Widmaier (2006) Münchener Anwaltshandbuch, Rn 64 - 67
    • Wasserburg: Einsichtsrecht des Verteidigers in kriminalpolizeiliche Spurenakten, NStZ 1981, 211
    • BVerfG: Beiziehung von Spurenakten, NStZ 1983, 273
    • OWiG § 49 Akteneinsicht des Betroffenen und der Verwaltungsbehörde, Lampe Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Auflage 2006, Rn 4-7
    • BeckOK GG Art. 103 Rn 8 - 10.1 Autor: Radtke/Hagemeier Beck'scher Online-Kommentar GG Hrsg: Epping/Hillgruber Stand: 01.11.2013 Edition: 19
    • BeckOK StPO § 147 Rn 13 - 15a Autor: Wessing Beck'scher Online-Kommentar StPO, Hrsg: Graf, Stand: 30.09.2013, Edition: 17
       
      Weitere Literatur in den jeweiligen Literaturlisten (zu potentielle Fehler)
      • Literatur potentielle Fehler.
      • Literatur Meinungsachten.
      • Literatur Geschäfts-un-Fähigkeit, Schuld-un-fähigkeit, ...
      • Literatur Explorations-Fehler.
      • Literatur Untersuchungs-Fehler.
      • Literatur Daten-Fehler.
      • Literatur Befund-Fehler.
      • Literatur Beweis und beweisen in Psychologie, Psychopathologie und Psychotherapie.
      • Literatur Beweis und beweisen in Wissenschaft und Leben.




    Links (Auswahl: beachte)
    • Exkurs: Was heißt eigentlich und ganz konkret "Akte", "Aktenanalyse"?
    • Kommentar zu Prof. Nedopil in den NN 2.1.13 zur Möglichkeit einer Begutachtung nach Aktenlage.
    • Kommentar zur Begutachtung überhaupt und nach Aktenlage im Besonderen.
    • Aktenlage  [Quelle Glossar Medienberichte Mollath...]




    Glossar, Anmerkungen und Endnoten:
    1) GIPT= General and Integrative Psychotherapy, internationale Bezeichnung für Allgemeine und Integrative Psychotherapie.
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    Eigener wissenschaftlicher Standort
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    . einheitswissenschaftliche Sicht. Ich vertrete neben den Ideen des Operationalismus, der Logischen Propädeutik und einem gemäßigten Konstruktivismus auch die ursprüngliche einheitswissenschaftliche Idee des Wiener Kreises, auch wenn sein Projekt als vorläufig gescheitert angesehen wird und ich mich selbst nicht als 'Jünger' betrachte. Ich meine dennoch und diesbezüglich im Ein- klang mit dem Wiener Kreis, daß es letztlich und im Grunde nur eine Wissenschaftlichkeit gibt, gleichgültig, welcher spezifischen Fachwissenschaft man angehört. Wissenschaftliches Arbeiten folgt einer einheitlichen und für alle Wissenschaften typischen Struktur, angelehnt an die allgemeine formale Beweisstruktur. 
       Schulte, Joachim & McGuinness, Brian (1992, Hrsg.). Einheitswissenschaft - Das positive Paradigma des Logischen Empirismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
       Geier, Manfred (1992). Der Wiener Kreis. Reinbek: Rowohlt (romono).
    Kamlah, W. & Lorenzen, P. (1967). Logische Propädeutik. Mannheim: BI.
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    Wissenschaft [IL] schafft Wissen und dieses hat sie zu beweisen, damit es ein wissenschaftliches Wissen ist, wozu ich aber auch den Alltag und alle Lebensvorgänge rechne. Wissenschaft in diesem Sinne ist nichts Abgehobenes, Fernes, Unverständliches. Wirkliches Wissen sollte einem Laien vermittelbar sein (PUK - "Putzfrauenkriterium"). Siehe hierzu bitte das Hilbertsche gemeinverständliche Rasiermesser 1900, zu dem auch gut die Einstein zugeschriebene Sentenz passt: "Die meisten Grundideen der Wissenschaft sind an sich einfach und lassen sich in der Regel in einer für jedermann verständlichen Sprache wiedergeben." 
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    Allgemeine wissenschaftliche Beweisstruktur und beweisartige Begründungsregel 
    Sie ist einfach - wenn auch nicht einfach durchzuführen - und lautet: Wähle einen Anfang und begründe Schritt für Schritt, wie man vom Anfang (Ende) zur nächsten Stelle bis zum Ende (Anfang) gelangt. Ein Beweis oder eine beweisartige Begründung ist eine Folge von Schritten: A0  => A1 => A2  => .... => Ai .... => An, Zwischen Vorgänger und Nachfolger darf es keine Lücken geben. Es kommt nicht auf die Formalisierung an, sie ist nur eine Erleichterung für die Prüfung. Entscheidend ist, dass jeder Schritt prüfbar nachvollzogen werden kann und dass es keine Lücken gibt. 
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    Nürnberger Nachrichten 13.3.14, S. 14, hieraus:
    " ... Leitender Oberstaatsanwalt Herbert Potzel sagte unserer Redaktion, alle wesentlichen Zeugen und Fakten, die einen Tathintergrund ergeben, werden überprüft. Einen Großteil der Hinweise habe man bereits abgearbeitet. Zu den Ermittlungsergebnissen wollte er sich jedoch nicht äußern. Details gebe man grundsätzlich nicht bekannt, sagte er.
        Damit widerspricht Potzel Vorwürfen der Unterstützergruppe um den wegen Mordes an Peggy verurteilten Ulvi K., die Ermittlungsbehörde sei an der Aufklärung des wahren Schicksals der neunjährigen Peggy gar nicht interessiert. Gudrun Rödel, die Betreuerin des geistig behinderten Ulvi K., hatte in einem mehrseitigen Schreiben an die Staatsanwaltschaft auch eine Reihe von Zeugen aufgelistet, die die Schülerin an jenem 7. Mai 2001 sowie an den folgenden Tagen in Verbindung mit einem roten Mercedes mit tschechischem Kennzeichen gesehen haben wollen (wir berichteten).
        Hinweise in den Spurenakten. Rödel, eine gelernte Rechtsanwaltsgehilfin im Ruhestand, beklagt vor allem, dass die Vernehmungs- und Ermittlungsprotokolle aus jener Zeit in den Verfanrensakten nicht auffindbar sind. Sie seien keineswegs verloren gegangen, betont Oberstaatsanwalt Potzel, sondern in den sogenannten Spurenakten abgelegt. Diese gehörten aber nicht zu den Hauptakten, die für den Wiederaufnahmeprozess wichtig sind. ..."
     

    Querverweise
    Standort: Spurenakten.
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    Methodenkritische Erst-Analyse ... Ulvi Kulac.
    Andere forensische Methoden der Beweis- und Indizienquellen.
    Zur Haupt- und Überblicksseite Katalog potentieller Fehler in forensischen Gutachten.
    Überblick Stellungnahmen zum Fall Gustl. F. Mollath.
    Überblick Forensische Psychologie.
    Kriminalitäts-Theorien.
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    Zitierung
    Sponsel, Rudolf (DAS). Spurenakten - Wenn Spuren verschwinden ... Zu Potentielle Fehler in forensisch psychiatrischen Gutachten, Beschlüssen und Urteilen der Maßregeljustiz. Eine methodenkritische Untersuchung illustriert an einigen Fällen u. a. am Fall Gustl F. Mollath mit einem Katalog der potentiellen forensischen Gutachtenfehler sowie einiger Richter-Fehler. Erlangen IP-GIPT: https://www.sgipt.org/forpsy/NFPMRG/SpurAkte.htm
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    korrigiert: 15.03.2014 irs



    Änderungen Kleinere Änderungen werden nicht extra ausgewiesen; wird gelegentlich überarbeitet und ergänzt.
    00.03.14
     
     
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